Frei sein, high sein, immer dabei sein!Dieweil nun mal der Spezialist, nur Herr in engen Grenzen ist, drum wirkt die Schicht, die forschend denkt, sehr häufig wunderlich beschränkt. Es fehlt dem zielenden Geschick, der allgemeine Überblick. Und also sind die Außenseiter sehr häufig größer und gescheiter. Erich Limpach Aus einem neuen Zeitalter des Sex, Drugs & Rock`n ́Roll berichtet Michael Geißler – aber auch von der Zeit, als Konsumverzicht die Lebensfreude steigerte, als Geld kein wirkliches Thema war. Heute klingt es nach einer Illusion – doch damals machte der Spruch: Frei sein, high sein, immer dabei sein! Sinn, er hatte was vom pfadfinderischen Allzeit bereit! Bei anderen hieß es wohl ... Haschisch muß dabei sein! – doch damals ging es ja gerade darum, daß nix mußte. Und sein Dope hatte man allemal in der Tasche. Als Verleger erlebt man ab und an eine Manuskriptflut zu einem angesagten zeitgeistigen Thema. Mitte der 90er kamen z.B. vermehrt Aufzeichnungen von Alkoholikern aus der ex-DDR. Diese wurden dann von Aufzeichnungen ehemaliger Indien-Fahrer abgelöst. Meist unter dem Motto: „Ich bin jetzt pensioniert und habe nachgedacht, wann das Leben am schönsten war: damals, als ich mich nach Indien aufmachte ...“ Da kann man immer nur den guten Tip geben: fertig schreiben, fünf Exem- plare im Copyshop drucken lassen und an die Enkel verschenken. Wen interessiert sowas ansonsten? Dann brachte der Briefträger diese Geschichten von Michael Geißler, die mir großes Lesevergnügen bereiteten – nicht nur, da ich in seinen Texten erstaunlich viele gemeinsame Bekannte entdeckte. Da ich jedoch selber an einem 60er-Jahre Buch saß (Alles schien möglich ... 60 Sechzig jährige über die 60er Jahre und was aus ihnen wurde) und meinen Abonnenten keine thematischen/inhaltlichen Doubletten anbieten kann, mußte ich die Herausgabe in meinem Verlag leider ablehnen. Um so größer die Freude, daß ich eine von Michaels Geschichten auch in meinem Buch unterbringen durfte. Ich hatte freie Auswahl und entschied mich für seine Knastgeschichten. Mir ist der Knast, bis auf lächerliche Einzelübernachtungen, immer erspart geblieben. Dabei hatte ich mir zu Anfang meiner Dealerzeit einen laufenden Regalmeter dicker Bücher reserviert – Bücher für einen Knastaufenthalt. Ich habe diese Bücher nie gelesen, nie lesen müssen. Ich weiß nicht, ob ich mit einem Knastaufenthalt so locker umgegangen wäre, wie es Michael beschreibt. Ich weiß auch nicht, ob er selber damit wirklich so locker umgegangen ist. Das Fazit seines Knastkapitels war jedoch für mich der Hauptgrund, mich ernster mit seinen Texten auseinanderzusetzen; sein Mitgefühl für Schwächere, daß doch über oder hinter all seinen Egotrippereien zu spüren ist. Erstaunlich, wie viele gemeinsame Bekannte und Freunde Michael Geißler und ich haben bzw. hatten. Einer von ihnen, Ronald Steckel, beschreibt seinen alten Kumpel “mit adjektiven, oder, wie man so schön sagt, ’eigenschafswörtern’ :-) proletarier berliner schnauze mutterwitzig ... mittelmeerisch ... italienisch ... spanisch ... am ende indisch, wie ein maharaja ... sexy mütterlich warmherzig gruppenmutter ... (überhaupt ein grosser fan des weiblichen, selber sehr weiblich, er sagte über seine liebe zu Frauen: „ich bin lesbisch“) heroinistisch absturzgefährdet ... küchenschwarzmagisch ... überhaupt: ’magisch’ interessiert & tätig. hexerisch (bezeichnete sich als „hexer“ ...) visionär ... von zu tiefen blicken in den abgrund traumatisiert (knasterfahrung). keiner schandtat abgeneigt ... verschlagen ... halbkriminell ... gutherz“. Michael und ich sind uns nie begegnet. Wenn er mir heute gegenüber säße, würde ich im Laufe des Gespräches sicherlich jenen alten Afghanen erwähnen, den ich letzthin in einem Interview erlebte, in dem dieser all meine Vorurteile gegen die Flut der Indienfahrer der späten 60er – die ja niemand eingeladen hatte – bestätigte. Befragt, ab wann es denn mit Afghanistan bergab ging: „Kam das durch die Russen?“ antwortete er: „Nein, das fing schon vorher an; als diese Hippies kamen und unserer Jugend die Köpfe verdrehten. Danach war nichts mehr wie zuvor. Und dann kamen die Russen, die Amis, die Taliban ...“. Beim Lesen seiner Geschichten kam mir immer wieder der Gedanke, daß Michael mit diesem alten Afghanen gut ausgekommen wäre. Vielleicht hätte er diesem – wohl auch in anderen Worten – seine Gedanken über unsere westliche Gesellschaft vermitteln können: „Unser Jahrhundert, zumindest die zweite Hälfte, muß sich schon alle möglichen Etiketten gefallen lassen: Industrie-, Maschinen-, Computer-, Atomzeitalter. Am treffendsten wäre wohl die Bezeichnung nach der hervorstechendsten Materialart: Plastikzeitalter ... Was macht denn eigentlich den entscheidenden Unterschied zu verflossenen Epochen? Ich denke, der Quantensprung, der uns alle betrifft und zukünftig einen ganz anderen Menschenschlag erfordert – aber auch erst möglich macht – liegt im Bezug zur Arbeit und Freizeit: Konsum- oder Freizeitgesellschaft... O.K., produzieren – konsumieren: Ruhe im Puff! So hätten sie es gern! Freizeitgesellschaft? Tausendfache Angebote – aber da, wo du den Konsumaspekt rausnimmst (TV glotzen) wird es dünne. Kaum einer weiß, wie freie Zeit sinnvoll, lustvoll, bereichernd, beglückend verbracht wird! Aber genau das ist der ’Knusus Knacktus’ – meiner bescheidenen Einschätzung nach. Ob wir den Paradigmenwechsel ins nächste Jahrtausend, ins Wassermannzeitalter (ohne ganz enorme Reibungsverluste an Welt und Mensch) in die Reihe kriegen oder nicht, ist eine Schicksalsfrage. Wir müssen nicht mehr unser ganzes Leben, nicht mehr fast jeden Tag und vor allem nicht den ganzen Tag opfern. Bei 8 Stunden täglich bleibt für nichts anderes mehr Zeit. Bestenfalls sich so weit zu regenerieren, um am nächsten Tag wieder ranzuklotzen. Große Teile der Bevölkerung schaffen auch das nicht mehr: Dauerstreß, Dauermüdigkeit, Zivilisationskrankheiten.“ Wir klinkten uns u.a. mit der Hilfe von LSD aus dem alltäglichen Trott. Den im Buch erwähnten Berliner bzw. Leipziger White Light Trips bin ich wohl nie begegnet. Ich weiß nur, daß die wundervollen Heidelberger Blitze, für die ich wiederholt begeistertes Versuchskaninchen spielen durfte, wenn eine neue Produktion vorlag, nicht in Heidelberg selber, sondern u.a. in Berlin verkauft wurden. Ich dagegen verkaufte die Roten Drops von den Archi-Brüdern aus Pfungstadt. Alles verjährt. Kürzlich wurde gar nach 25 Jahren die Indizierung von Tim Learys Politik der Ekstase aufgehoben, die u.a. erfolgte, weil Leary laut der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in dem Buch zum Rauchen von LSD aufrief. Ahh, diese unwissenden Bierfixer ... Acid (= LSD) war das Ticket für innere Reisen. Irdische Reisen, beispielsweise aus Berlin heraus oder nach Berlin hinein waren uns zu teuer, also wurde getrampt. Den Großteil meiner heutigen Freunde lernte ich in den 60ern kennen, als man die Muße hatte, gemeinsam an schönen Plätzen rumzuhocken oder zu einem Konzert zu trampen. Heute sind Tramper rar geworden. Jugendliche reisen zielgerichteter im Netz – oder mit Billigfliegern. Nix mehr von wegen ’der Weg ist das Ziel’ – die Zeit hat ja heute kaum noch jemand, bzw. nimmt sich heute niemand mehr. Durchs Netz hat man heute leicht mit viel mehr Menschen Kontakt – aber die Qualität der Begegnung oder gar Freundschaften nimmt ab. Zur Knüpfung echter Freundschaften gehört der face to face-Kontakt. So betitelte The Guardian letzthin eine wissenschaftliche Untersuchung: „Warning: you can‘t make real friends online.“ Die Szene von damals lebt in der Mythenwelt weiter. So erwähnt Detlef Kuhlbrodt, ein Nachgeborener, in seinem Buch Morgens leicht, später lauter (Edition Suhrkamp): “Die Kiffer hatten einen Erinnerungstag, immer am ersten Samstag im Mai. An diesem Tag würden Erdpfeifen geraucht auf dem Kreuzberg, hatte mir vor Jahren ein ehemaliger Haschrebell in Charlottenburg erzählt.” Einer von Michaels damaligen Abenteuer-Partnern, Bommie Baumann, erzählte aus jenen Zeiten: „Wir haben denn gesagt, überhaupt keine privaten Wohnungen mehr. Den Abbau von Privatbesitz soweit vorantreiben, du hast nur noch die Sachen, die du anhast, und so zieht denn ein ganzer Trupp durch die Stadt. Wohnungen gab es inzwischen genug. Da gehst du dann immer irgendwohin und gibst da Gastspiele. Du hast genug Möglichkeiten zu wohnen – einfach umherschweifende Rebellenhaufen. War ja 'ne gute Zeit, der ganze Sommer 69 bis Anfang 70, fast ein Jahr sind wir denn durch Berlin gezogen. Du hattest denn nur noch ein Stück Shit in der Tasche, und einen Dietrich und ein bißchen Geld und hattest ein paar bunte Sachen an, und so ist immer ein Trupp von Leuten herumgezogen. Und trotzdem waren wir so organisiert, daß wir etwas unternehmen konnten. Wir haben dann angefangen, diesem ganzen losen Haufen einen Namen zu geben. Das war der „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“. Wir haben gesagt, wir nehmen Dope, das ist eine wichtige Sache. Und Rebellen, klar, waren wir eh, und Zentralrat war einfach eine Ironie auf die damaligen Politzirkel, weil sich alle Zentralrat nannten. Es gab also schon wieder mal 1000 Zentralräte, das war einfach schwer ironisch, die Bezeichnung.“ Den Haschrebellen verdankten später Ton-Steine-Scherben ihren Marken-Spruch: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Aus einem Flugblatt der Rebellen: Es ist Zeit zu zerstören! Genosse Heinz-Dieter war zeitweilig dabei, als die Redaktion der von Michael erwähnten Zeitschrift 883 tagte. Er kann sich nicht wirklich an Michael erinnern: „Der Name sagt mir nichts – sähe ich ein Foto von damals: eventuell. – ABER: innerhalb der Bewegung verzichtete man ja zugunsten der allumfassenden Anrede ’Genosse & Genossin’ auf ’Namen’ – es sei denn im eigenen inneren Kreise. Das umso stärker, als dann in der militanten Phase aus Selbstschutzgründen sowieso auf Namenskenntnis verzichtet wurde – man kannte und erkannte sich per Augenschein.“ Marion Grob erklärt in ihrem Buch ’Das Kleidungsverhalten jugendlicher Protestgruppen in Deutschland im 20. Jahrhundert – am Beispiel des Wandervogels und der Studentenbewegung’: „Andere Teile der Gruppe der ’antiautoritären’ Revolte, beispielsweise die Berliner ’Umherschweifenden Haschrebellen’, blieben bei der auf Marcuse zurückgehenden ’antiautoritären Konzeption’, dass nicht die Arbeiterklasse, sondern der Einzelne bzw. diskriminierte Minderheiten der Gesellschaft das revolutionäre Subjekt seien (Randgruppenkonzeption). Vor allem die individuelle Befreiung stand bei Ihnen im Vordergrund. Trotz radikaler Kritik an der Gesellschaftsordnung fehlten aber präzise Alternativvorstellungen, die über eine Art ’Keine Macht für niemand’ hinausgingen.“ Das tägliche Leben war so voll, auch voller neuer Erfahrungen, daß der wissenschaftliche Anspruch ’präziser Alternativvorstellungen’ keine Rolle spielte. Wichtiger war es, neuen Erfahrungen offen gegenüber zu sein. Haschrebellen waren Praktiker, das nervte mitunter die Theoretiker. HD Heilmann: „Außerdem: die umherschweifenden HR gehören v.a. in die Phase der Auflösung einer einheitlichen Bewegung – später erinnerten sie mich an die Anarchisten in Moskau & Petersburg. Und zwar gerade wegen deren asozialem Verhalten der Bewegung bzw. deren Ziele im allgemeinen gegenüber. Der brutale Egoismus dieser (haupts.) Burschen ist mir immernoch gegenwärtig. [...] Selbstredend gehörten die HR dazu und eigentlich recht liebenswert – v.a. im Kontrast zu den damals gleichzeitig emporstrebenden Parteifritzen. Mal sehen, ob dieses Erinnerungsbuch dann nicht bloß eine (unangebrachte) Idealisierung ex post ist.“ Was sagst Du als Leser/in dazu? Entsprechende Leserbriefe an den Verlag sind erbeten. Mich Landei hat Berlin nie so eingenommen wie z.B. London. Dort hatte ich zu Ostern 1967 erstmals Menschen getroffen, die nicht nur wußten, wer Buddha oder Proudhon waren, sondern auch noch rockten und kifften. Damals kannte ich im Vaterland nicht einen Menschen, der sich mit Buddhismus oder Anarchismus beschäftigte, geschweige denn sich in beiden Gebieten auskannte. Oder gar kiffte. Naja, in diesem Falle hätte ich wohl meine Kochlehre auch nie beendet. Auf Demos 68 in Berlin bekam ich wiederholt von staatlichen Handlangern die Hucke voll, so z.B. als ich nächtens in Ermangelung eines Schlafplatzes die Nacht durchlaufend zufällig am Amerikahaus vorbei kam und die dort Wache haltenden Beamten in mir ein verprügelnswertes Nahziel sahen. War es 1970, als ich im Frühling ein Dutzend Joints mit grünen Papers rollte und damit zu Creedence Clearwater Revival im Sportpalast ging – um rockend Frühlingsanfang zu feiern? Was für ein Reinfall: in der Halle patroulierten so viele US-Polizisten in voller Kampfmontur, daß sich niemand traute, mitzurauchen. Mir war es zu eng in Westberlin und dieser Kreisel von VoPos drumherum war für unsereins auch eher bedrohlich. Paranoia war nie mein Ding. Erst durch meinen Ende der 70er von HD Heilmann vermittelten Kontakt zu Wolfgang Neuss, aus dem ein langes Interview und das Buch Neuss’ Zeitalter und anderes erwuchs, lockerte sich dieses Verhältnis – doch seit seinem Tod ist mir diese Stadt wieder fremd. Michael war laut Achmed streckenweise TÄGLICH mit Wolfgang zusammen. Aber mehr als ununterbrochen zu kiffen, zu quatschen und zu lachen hätten sie nicht getan :-). Neben den Besuchen bei Neuss gehörte für mich zu meinem Berlinprogramm auch jeweils das Ausnutzen des billigsten Weges in eine andere Welt. Nein, nicht LSD, sondern für 25 DM ab nach Ostberlin. Immer dasselbe Ritual: ein Neues Deutschland unter den Arm geklemmt und dann los. Was ich sonst nicht machte, in OstBerlin gehörte es zum Standartprogramm: mich einige Minuten vor ein großes Schaufenster zu stellen und dort beobachten, wie Menschen hinter meinem Rücken auf meine, zugegeben etwas ausgefallen bunte Erscheinung reagierten, etwas, das mich im Westen nie auch nur eine Sekunde interessierte. Besonders beeindruckend: niemals scheint mich ein russischer Soldat, von denen mir ja durchaus Gruppen in Museen und anderswo begegneten, wahrgenommen zu haben. Die schauten durch mich immer durch, unter dem Motto: das darf nicht sein, das kann nicht sein ... Michaels Erlebnisse mit den VoPos bei der Aus- und Einreise erinnern mich auch an meine Erfahrungen. Oder an die Geschichte meiner Freundin C., die damals dabei war, als ihr Freund Highdelberger Blitze nach Berlin-West schmuggelte und den Grenzern irgendwas verdächtig vorkam. Als man C. bei einem Verhör nicht aufs Klo ließ, hockte sie sich einfach aufs Waschbecken des Verhörzimmers ... Aber nicht nur diese Schikanen teilten wir – Ausreisende wie Einreisende. Auch die Einstellung zum Dealen. Learys Deal for Real, das war unsere Devise, das hatten wir dem hippen Gegenstück zur 883, dem wunderschönen Berliner PreNewAge-Magazin LOVE, entnommen. Aber dort wie hier machten er und ich die Erfahrung: wer mit Psychedelika nur des Geldes wegen dealt, wird wahrscheinlich anschließend im Knast darüber nachdenken können. LSD ist nicht Gier-kompatibel. Leider begriffen das nur einige Kollegen. Wie beschrieb das Bommi? „Ganz bestimmte Dealertypen haben wir nicht gerne gesehen, die einfach nur Kohle gemacht haben oder so. Aber wir haben auch selber gedealt, von irgendetwas mußt du ja leben; wir haben zich Leute gekannt, an die wir Shit verkauft haben, das war ja das einzige, was wir überhaupt noch hatten. Du hast richtig mit und von der Droge gelebt.“ Und Dich um Deinesgleichen solidarisch gekümmert – sei es auf schlechten Trips oder bei Konfrontationen mit den Autoritäten. Den Berliner Dealern halfen bei juristischen Problemen manchmal die Rote Hilfe der Sozis oder die Schwarze Hilfe der Anarchisten. In Heidelberg gründeten wir die Grüne Hilfe, speziell als Dealerhilfe. Natürlich gab es auch die gierigen Geier, denen man die Hilfe verweigerte. Wer in Freiheit Spenden für inhaftierte Kollegen verweigerte und sich noch lustig über uns Sozialtrottel machte, konnte nicht unbedingt mit Hilfe rechnen, wenn er im Schlamassel saß. Michael Geißler hatte wohl eine verwandte Einstellung zu solchen Kollegen: „Alle, die ich kenne, die bösen Zauber gemacht haben, sind letztlich auch daran erstickt. Spätestens an der Kohle, die sie sich dann zugelegt haben, sind sie erstickt. Die Flamme der Liebe ist ausgegangen. Ich will keine Namen nennen. Aber sie sind dann alle letztlich reich, unglücklich, einsam und immer böser geworden. Und der letzte große Durchbruch, die unendliche Liebe zur unendlichen Natur und ein Aufgehen darin, das ist ihnen verwehrt. Na, dann hat sich der ganze In Heidelberg kifften wir uns ein, zwei (drei?) Sommer lang kollektiv die Hucke auf der Neckarwiese und den Stufen der Heiliggeistkirche voll. Ein permanentes Smoke-In. In Berlin gings etwas politischer organisiert ab. Smoke-Ins fanden erst wieder ein viertel Jahrhundert später, nach dem Recht-auf- Rausch-Beschluß von Richter Neskovic aus Lübeck, in Darmstadt statt und gehören heute wohl zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nein, diese West-Oase im Osten war nicht mein Ding und umso spannender sind da Geschichten von Menschen mit ähnlichen Einstellungen, wie Michael Geißler & die Haschrebellen. Wie erlebten sie diese Stadt, diesen West-Käfig, der sie ja immerhin von der Bundeswehrpflicht befreite, und die Welt, wenn sie die Mauer hinter sich ließen? Ronald Steckel gehörte zu jenen, die sich sehr bewußt dem Moloch West-Berlin stellten. Er spricht voll Respekt von Michael: „M. war in den frühen jahren einer der wirklich mutigen pioniere in alle richtungen, psychoaktiv wie politisch... & die ’wirklich mutigen pioniere’ waren, wie wir wissen, eben eine kleine radikale minderheit – also das allein zeichnet ihn schon aus ...“ Aus Michaels Texten spricht eine große Neugier auf Menschen und Kulturen. Face to face-Erfahrungen. Selber erleben. Das Wissen, um hier verschüttete Traditionen, seine Fähigkeit, sich auf andere Kulturen und Traditionen einzulassen. Gelesen hat er, aber wohl einiges auch besser verstanden, als andere LeserInnen. Ein Beispiel: die noch heute wachsende Szene der selbsternannten ’Schamanen’. „Da hast Du Dir also Berge von Büchern in den Kopf gepackt – und nix gerafft! Zu dem Thema hier und heute – unter anderem z.B. die ganze Schamanenforschung, die alten Typen zwischen Sibirien, Feuerland, Australien, Amazonas und Mexiko, die wissen das ja auch oder haben die gleiche Einsicht, nur anders erkannt, gelernt sozusagen: die Natur- und Gottesbeziehung nordamerikanischer Indianer. Der Schamane, der Medizinmann und auch der indische Saddu, die haben das nicht nötig, solche großmäuligen Versprechen, die werden von ihrem Stamm oder Volk getragen, genährt und akzeptiert.“ Nicht Alles was er schreibt ist bei genauem Hinsehen ganz korrekt. Er verwechselt Zitate von Bakunin und Proudhon und auch seine Behauptung alles LSD sei seit den späten 70ern mit Speed aufgemischt, zweifele ich an. Doch in seiner Welt stimmte es, seine lebendigen Geschichten vertragen ein paar sachliche Patzer, also sind sie im Text gelassen worden. In diesem Falle geht die Authentizität dieser Erlebens-Geschichten vor. Michael war ein Evolutionär, kein Revolutionär. Zorn ist eine Basis für eine Revolution, der Schlüssel zur Evolution ist es, glücklich zu sein. Nur wer nichts selber versucht, ist ein Versager. Michael gehörte nicht zu denen, die nichts tun weil sie depressiv denken, doch keinen Unterschied ausmachen zu können. Jeder macht einen Unterscheid aus – es fragt sich nur, für wen oder was. Was wäre es für ein buntes Leben, wenn es auf der Straße so viele Experimente gäbe wie vor dem Bildschirm. Die Haschrebellen experimentierten, mit sich und ihrem Leben. Als psychedelische Pfadfinder stießen sie auf neue Wege – auf Sackgassen, aber auch andere Wege. Aus einigen wurden inzwischen ausgelatschte Trampelpfade des Konsums, andere führten uns weiter ... Michael hat sich bzw. seinem Leben mit dem vorliegenden Buch ein eigenes Denkmal erschaffen, und er vermag es mit seinen Erzählungen, dem Leser die häufig mystisch verklärte Zeit um 1968 dankenswert real zu vergegenwärtigen. Erzählen kann er uns nichts mehr, denn Michael Geißler ist leider im Dezember 2003 an Hepatitis C bzw. Leberkrebs verstorben. Dank an Ronald Steckel, H. D. Heilmann und Achmed Khammas für Hintergründe und Zitate, und vor allem an Verlegerin Miriam und Michaels Wegbegleiterin der letzten Jahre Melanie, daß sie Michaels Geschichten für uns zugänglich machen. Vielleicht sollten wir mal wieder umherschweifen? Werner Pieper Medienabenteurer Highdelberg, 2008 |