Philip Werner Sauber


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Was hat er denn politisch gemacht? Hinter dieser Frage wird der Mensch nicht sichtbar, denn nicht die Formel macht uns zum politisch handelnden Wesen, sondern die Bewältigung des Alltags, nicht die institutionalisierte politische Arbeit bleibt in Erinnerung, sondern das, was zufällig, wie nebenbei geschieht.

Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ist unser aller Geschichte politisch austauschbar: Philip Werner Sauber, geboren 1947 in Zürich, Elternhaus Schweizer Kapitalisten, Schule, erste Arbeiten als Fotograf und Filmemacher. Philip kam 1967 mit 20 Jahren nach Berlin. Das war kurz nach dem 2. Juni und dem Tod von Benno Ohnesorg. Für viele war dieses Datum ein Wendepunkt der eigenen Geschichte. Philip ging an die Filmakademie, die 1966 gegründet worden war, dort studierte auch Holger Meins und später auch Manfred Grashof, der in Zweibrücken einer lebenslangen Haft entgegensieht. Die ersten Jahre der Filmakademie gehören zu den produktivsten. Die Filme, die damals entstanden, sind spontane und phantasievolle Äußerungen, in denen Filmsprache neu, unkonventionell und provozierend benutzt wird. Holger dreht in dieser Zeit den "Oskar Langenfeld", Philip den "Einsamen Wanderer". Für beide sind es die letzten größeren Filme, in denen sie sich als Autoren verwirklichen.

"Oskar Langenfeld" ist ein Film über einen TB-kranken Lumpensammler aus Berlin-Kreuzberg. Holger lebte einige Wochen mit diesem Mann und durchlief mit ihm seine täglichen Stationen bis hin zum Männerwohnheim, wo Oskar Langenfeld, kurz nachdem der Film fertig war, starb. Während der Arbeit an dem Film und im Film selbst ist jene Konsequenz und Kompromißlosigkeit spürbar, die sich durch Holgers ganzes Leben bis hin zu seinem Tod zog. Das Portrait dieses alten Mannes ist eindringlich und genau. Er kann sich durch Sprache fast nicht mehr verständigen. Jedes Wort wird von einem trockenen, nicht endenwollenden Husten unterdrückt. Der Husten wird zur Sprache, in ihm erschöpft sich die ganze Lebenskraft des alten Mannes.

Philips Film vom einsamen Wanderer ist eine Geschichte über die Austauschbarkeit und Beliebigkeit filmischen Codes, ein Spiel mit Bildern über den Tod. Während Holger dich ganz klar sozial engagiert und sich selbst in die Situation des Ausgestoßenen begibt, befaßt sich Philip intensiv mit Filmsprache und formal-ästhetischen Problemen. Sein Film ist schön und lockt den Zuschauer immer wieder auf eine Fährte vertrauter Symbole, die er aber sogleich wieder verläßt. Auch Philip arbeitet hart und konsequent an diesem Film, konsequent innerhalb seiner Ästhetik. Er sitzt fünf Tage und fünf Nächte am Schneidetisch. Als der Film fertig ist, hat er ihn zugleich auch überwunden und hinter sich gelassen. Er begreift, daß er nie wieder solche Filme machen wird. Die Produktion von Filmen wird danach nur noch als sekundäres Moment politischer Praxis betrachtet. Die Verbindung von politischem Anspruch und schöpferischem Gebrauch von Filmsprache konnten zu diesem Zeitpunkt kaum geleistet werden. Die Ablehnung der bürgerlichen Filmkunst und Ästhetik brachte nicht automatisch eine revolutionäre Ästhetik hervor, die auch Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Schönheit beinhaltet hätte. Gestalterische Probleme traten zunächst zugunsten neuer Inhalte in den Hintergrund.

Die politische Diskussion im Kinderladen stellte nicht nur die herrschenden Machtstrukturen infrage, sie führte konsequenterweise auch zu alternativen Lebens- und Reproduktionsformen. Die meisten Genossen lebten 1967/68 noch in Kleinfamilienzusammenhängen - so auch Philip. Aber auch für ihn wurde der Widerspruch zwischen privater und politischer Existenz immer größer. 1969 führte sein Weg über die Kommune 2 in die ehemalige Fabriketage der Schönberger Grunewaldstraße 88. Die Diskussion um die Organisationsfrage im Sommer 69 hatte viele alte Gruppen gespalten. Viele Genossen glaubten, sich nur noch durch marxistisch-leninistische Organisationsansätze "proletarisieren" zu können und liquidierten ihre antiautoritäre Vergangenheit. Philip war immer ein Gegner zentralistischer Ansätze und sah in autonomen Stadtteilgruppen eine größere Chance, aus dem Ghetto der Studentenpolitik auszubrechen. Die Schaffung von Gegenöffentlichkeit war für ihn dabei ein entscheidender Punkt.

Die 18 relegierten Studenten hatten inzwischen einen Musterprozeß gegen die Akademie gewonnen. Sie wurden zwar nicht wieder aufgenommen, aber dafür finanziell entschädigt. Einige verlebten das Geld in Berlin, andere fuhren nach Indien, Philip kaufte sich eine Halbzoll-Video-Anlage. Die semi-professionellen Magnet-Aufzeichnungsgeräte waren damals gerade auf den Markt gekommen und es hatte sich schnell ein Mythos gebildet über das, was alles damit gemacht werden konnte.

In der Fabriketage in der Grunewaldstraße 88 sollte alternatives Leben, alternative Reproduktion und alternative Öffentlichkeitsarbeit miteinander verbunden werden. Man wollte als politische Gruppe zusammen leben, Geld verdienen und nach außen auftreten. Alternativ wurde nicht als rückwärts gewandte Utopie oder Rückzug in vorkapitalistische Lebensformen verstanden, sondern als kämpferischer gesellschaftlicher Anspruch, der fast aus einer Position der Stärke kam. Das Projekt in der Grunewaldstraße 88 wurde zum Teil dadurch finanziert, daß ein anderer Genosse und Philip nachts Taxi fuhren. Im Winter 1970 war auch Holger Meins, der im gleichen Bereich arbeiten wollte, in die Grunewaldstraße gezogen. Es entstanden Pläne für eine Gegen-Abendschau, die in Stadtteilläden gezeigt werden sollte. Mit der elktronischen Kamera konnte man, ohne Zeitverlust durch die Entwicklung der Filme, aufzeichnen und wiedergeben. Es sollten besonders lokale Belange, über die in der Abendschau offiziell berichtet wurde, aus eigner Sicht kommentiert und ergänzt werden. Die Verbindung von mitgeschnittenen Fernsehaufzeichnungen und Eigendarstellung des gleichen Sachverhalts schien eine ideale Möglichkeit, die herrschende Informationspolitik durchschaubar zu machen.

Parallel zur Filmarbeit wurde die Underground-Zeitung 883 eine Zeitlang in der Grunewaldstraße hergestellt und von dort aus vertrieben. Diese Zeitung wechselte ihre Herausgebergruppe oft, aber sie gehörte zu den bekanntesten und dauerhaftesten alternativen Zeitungen, die es in der Westberliner Linken je gab. Sie bezog immer entschiedende Position gegen die dogmatischen K-Gruppen, verfiel allerdings ins andere Extrem, jeden aktionistischen Ansatz hochzujubeln.

Einige Zeit erschien die 883 mit dem Untertitel "Kampfblatt der kommunistischen Rebellen". Der Rebellentypus war die politische Kämpfergestalt, mit der sich die Gruppe um die 883 und auch Philip am stärksten identifizierte. In ihr waren noch all die antiautoritären Momente der Studentenbewegung enthalten.

Von nun an wird die Grunewaldstr. 88 zur offiziellen Anlaufstelle für die Polizei. Nach der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 wird zum erstenmal mit gezogener Pistole durchsucht. Später gehören MPs zur Standardausrüstung, um schlafende Kinder aus den Betten zu holen. Die Verbindung von sog. "normalem Leben" - z.B. ein Leben mit Kindern - und politischer Praxis im Fabrikgebäude des zweiten Hinterhofs der Grunewaldstraße 88 hat bei den Bewohnern des Häuserblocks eine Sympathie geschaffen, die auch die massiven und brutalen Polizeieinsätze, die ab Frühjahr 1970 folgten, nicht zerstören konnte. Trotz der spektakulären Aktionen der Staatsgewalt, die die Leute aus der Fabriketage als gemeingefährliche Kriminelle abstempeln sollten, wurde mit dem gesamten Häuserblock ein Streik gegen den Hausbesitzer organisiert, durch den die Miete drastisch reduziert wurde. Die Bewohner aus dem Häuserblock kamen gerne zu den Mieterversammlungen. Für die meisten war dies die einzige Gelegenheit, aus ihrer Anderthalb-Zimmer-Wohnungs-Einsamkeit herauszukommen. Das Zerrbild, das die Presse von den Leuten aus dem zweiten Hinterhof zeichnete, war für sie unwichtig, denn es hatte sich Vertrauen entwickelt durch die Kinder und durch die Offenheit, mit der ein anderes Leben nach außen hin vertreten wurde ...

... Der Film wurde auf einem Teach-In über die Black-Panther gezeigt und sollte bewußt machen, daß es auch bei uns politische Gefangene gibt, was manche linken Gruppen damals gern übersahen. Der Tagesspiegel registrierte den Film einen Tag später als "Terrorfilm".

1971 verläßt Philip die Grunewaldstr. und unterrichtet noch einige Zeit an der Hochschule für Bildende Künste im Bereich visueller Kommunikation.

Dann folgt der sukzessive Rückzug. Es geschieht das, was man mit so vielen ehemals vertrauten Genossen erlebt hat: man lebt zusammen, man trennt sich, man sieht sich noch manchmal, dann immer seltener und schließlich gar nicht mehr. Und eines Morgens schlägt man die Zeitung auf, sieht die Fahndungsbilder und begreift und hofft nur noch aufs Überleben.

Philip hat versucht, sich im Untergrund eine neue "legale" Existenz aufzubauen. Er ist in die Fabrik gegangen, das war eine politische Entscheidung, die mit dem, was auf dem Parkplatz in Köln-Gremberg geschehen sein soll, nicht zusammenpaßt. Aber auch er hat es nicht geschafft zu überleben. Nach der Entführung von Peter Lorenz wurden Täter gesucht - Philip sollte einer von ihnen sein. Aber niemand kann sich erklären, wie man jemanden in Berlin entführen kann, wenn man bei Klöckner-Humboldt - Deutz in Köln an der Stanze steht.

Philip lebt weiter - nicht an den Wänden der Universität, aber in der Erinnerung der Bewohner des Häuserblocks der Grunewaldstr. 88, die sich nicht abschrecken ließen; zu einem Menschen zu halten, den sie kannten und dem sie vertrauten.

An den Schwankenden

Du sagst:
Es steht schlecht um unsere Sache.
Die Finsternis nimmt zu. Die Kräfte nehmen ab.
Jetzt, nachdem wir so viele Jahre gearbeitet haben
Sind wir in schwierigerer Lage als am Anfang.

Der Feind aber steht stärker da denn jemals.
Seine Kräfte scheinen gewachsen.
Er hat ein unbesiegliches Aussehen angenommen.
Wir aber haben Fehler gemacht, es ist nicht zu leugnen.
Unsere Zahl schwindet hin.
Unsere Parolen sind in Unordnung.
Einen Teil unserer Wörter
Hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.

Was ist jetzt falsch von dem, was wir gesagt haben
Einiges oder alles?
Auf wen rechnen wir noch?
Sind wir Übriggebliebene, herausgeschleudert
Aus dem lebendigen Fluß? Werden wir zurückbleiben
Keinen mehr verstehend und von keinem verstanden?

Müssen wir Glück haben?

So fragst du. Erwarte
Keine andere Antwort als die deine!
Berthold Brecht

Quelle: Der Blues