'Es herrscht eine grässliche Stimmung - ein Verlangen, einfach alles in die Luft zu sprengen.'
Präsident Nixon (aus 'Nixon Agonistes' von Garry Wills)
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Das obige Wort von Präsident Nixon hat Warren Hinckle als Motto für dieses Buch gewählt. Es drückt genau das aus, was uns veranlasst hat, den Bericht 'Guerilla-Krieg in USA' gleichzeitig mit der amerikanischen Ausgabe den deutsch-sprechenden Lesern zugänglich zu machen: Das Verlangen, einfach alles in die Luft zu sprengen, breitet sich nicht nur in den USA aus, es ist eine Stimmung, die sich in allen westlichen Ländern hinter der glänzenden Fassade aufstaut.
Die bisherigen Entladungen, etwa bei Studentendemonstrationen oder bei den Maiunruhen in Frankreich, waren allerdings durchweg unkontrollierte Eruptionen und damit etwas grundsätzlich anderes als das, was dieses Buch für die USA nachweist: Dort ist ein systematisch geführter Kleinkrieg gegen das Gesellschaftssystem im Gang, der sich ständig eskaliert, eben weil er geführt wird, und der nicht etwa nur Mittel zum Zweck ist, sondern seinen Zweck selbst hervorbringt. Der Guerilla-Krieg als Vater aller Dinge braucht zur Auslösung zunächst keine große Organisation, er ist als Instrument den Händen weniger, aber Entschlossener gehorsam, wobei diese darauf vertrauen können, daß das Instrument von weiteren Händen aufgegriffen werden wird.
Nur wenn erkannt wird, daß auf diese Weise ein Automatismus zur Zerstörung der Gesellschaftsordnung in Gang gesetzt wird, besteht Aussicht, diese Zerstörung aufzuhalten. Dieses Buch weist nach, wie in Amerika versucht wurde und versucht wird, den Ausbruch des Guerilla-Krieges zu vertuschen oder herunterzuspielen, mit dem Ergebnis, daß er sich verstärkt und ausgebreitet hat.
Man mag aus einer ähnlichen Haltung heraus betonen, daß eine solche Entwicklung in Westeuropa und insbesondere in der Bundesrepublik Deultschland unmöglich sei.
Die großen Unterschiede zwischen hier und drüben sind gewiß nicht zu verkennen, und sicherlich hat ein Guerilla-Krieg nur dort Aussicht auf Erfolg, wo die Gesellschaft für ihn gewonnen, er ihr also nicht aufgezwungen wird. Es gibt jedoch Anzeichen, welche die Furcht nicht ganz unbegründet erscheinen lassen, jenes latente Verlangen, alles in die Luft zu sprengen, könnte eines Tages in gezielte Aktionen umschlagen. Wenn unsere Gesellschaft heute dafür noch nicht empfänglich ist, wer garantiert dafür, ob nicht morgen oder übermorgen die Saat der Gewalt auch bei uns ihren Nährboden finden wird? Eine Garantie dagegen ist nur die rechtzeitige Verwirklichung jener Reformen, deren Notwendigkeit von den Einsichtigen längst erkannt ist, deren Verwirklichung sich jedoch erhebliche Hindernisse in den Weg stellen.
Damit steht dieses Buch in engem Zusammenhang mit einer Reihe von kritischen und zukunftsweisenden Büchern, die wir in den letzten Jahren veröffentlicht haben.
Wir heben diesen Aspekt des Werkes von Warren Hinckle hervor, weil er vielleicht nichlt so ohne weiteres gegenwärtig ist. Daneben gilt aber auch, daß alles, was in USA geschieht, uns nicht unbeteiligt lassen kann. Die Zukunft Europas, die Zukunft Deutschlands entscheidet sich nicht nur in Amerika, aber sie entscheidet sich auch dort.
Deutsche Verlags-Anstalt
Einleitung
Das vorliegende Buch hat eine merkwürdige Veröffentlichungsgeschichte, die eher in die zähe Langsamkeit der fünfziger Jahre als in das sogenannte Wassermann- Zeitalter gehört.
Wie Topsy erwuchs es aus einer Sondernummer der Zeitschrift Scanlan's, deren Erscheinen vier Monate lang durch eine einmalige Intrige hinausgezögert wurde. Beteiligt waren unter anderen rabiate Gewerkschaftler, zensurwütige Drucker, das Zollamt, das US-Justizministerium, das Antiterroristenkommando der Polizei von Montreal, die königlich-kanadische berittene Polizei, das Federal Bureau of Investigation und Zeitschriftengroßhändler in geschlossenen Ortschaften von Philadelphia bis Los Angeles.
Das Originalheft unserer Zeitschrift enthielt nur einen Bruchteil des im vorliegenden Buch veröffentlichten Materials, aber das genügte, um die Repressionsmaschine in Gang zu setzen. Eine superpatriotische Druckerclique von eigenen Gnaden, die in der New Yorker Druckerei von Scanlan's den Inhalt des geplanten Septemberhefts las, kam zu dem Schluß, der Stoff eigne sich nicht zum Konsum der Öffentlichkeit, und verweigerte schlicht und einfach die Arbeit. Ihre Strohmannbosse erklärten sich mit ihnen solidarisch, und die Druckereibesitzer wurden höheren Orts vorstellig.
Die Herausgeber von Scanlan's, die schon unter normalen Spielverhältnissen ein streitlustiges Team sind, brachten natürlich die Gewerkschaft und die Druckerei sofort vor den Kadi. Der Richter ordnete an, wir sollten wieder ins Glied treten und auf die Überweisung des Schadenersatzes warten. Da es in Amerika üblich ist, daß Inhaftierte sechs Monate lang warten müssen, bis über ihren Antrag auf Freilassung gegen Kaution entschieden wird, braucht man kein mathematisches Genie zu sein, um den Zeitplan für 'unpatriotische' Zeitschriften auszurechnen.
Das Verfahren ist noch in der Schwebe, weil der philosophische Aspekt der Sache, bei dem Scanlan's die Unterstützung der American Civil Liberties Union fand, dem Begriff der Pressefreiheit an die Nieren geht. Der prominente Unionsknacker Benjamin Franklin brachte das erstmals zum Ausdruck, als er durchblicken ließ, wenn die Drucker befugt wären, darüber zu entscheiden, was zum Druck geeignet ist, würde wenig übrigbleiben, das man setzen könnte; er drückte sich allerdings in einer höheren Stilebene aus:
'... damit würde der freien schriftlichen Äußerung ein Ende gesetzt, und die Welt hätte hernach nichts anderes zu lesen, als was zufällig die Meinung der Drucker ist.'
Howard Gossage, der verstorbene geniale Werbefachmann, der eigene Wege ging, prägte ein Zitat, das angeblich von dem verstorbenen A.J. Liebling stammt und das jedermann die Mühe spart, den entsprechenden Absatz der Verfassung lesen zu müssen:
'Pressefreiheit wird nur denen gewährt, die eine Presse besitzen.'
Scanlan's besaß keine und saß ohne Druckerei da.
Das war Anfang September 1970, und das vom Pech verfolgte Heft, dem die Druckerschwärze verweigert wurde, war auf Oktober umdatiert worden. Jetzt änderten die Herausgeber das Datum im Titel auf November ab und machten sich im Umkreis der kontinentalen USA auf die Suchhe nach einer Druckerei, die groß genug und bereitwillig genUg war. Sie ließ sich etwa ebenso leicht finden wie der Bericht des Dorfarztes über die unbefleckte Empfängnis.
Druckereien in dreizehn Staaten - nicht den Gründerstaaten - lehnten den Auftrag ab. Wir versuchten es sogar mit einem Sexzeitschriftendrucker in Los Anlgeles, aber die Männer an der Druckpresse, die sich tagtäglich mit Pornographie die Finger schmutzig machen, sagten ihren Bossen, auch sie müßten irgendwann einmal einen Punkt machen.
Zuerst hörte man von kaum verschleierten Sabotagedrohungen und ausgewählten Erpressungsleckerbissen, die jeder Druckerei blühten, die das Guerilla-Heft machen würde. Dann vernahm man durch Flüsterpropaganda, wie Nicholas von Hoffman, Kolumnist der Washington Post, schrieb, diese Nummer von Scanlan's sei - im Gewerkschhaftsjargon - 'heiße Ware'. Niemand wollte sich die Finger daran verbrennen.
Da wanderten wir nach Kanada aus.
Nach reiflicher Überlegung muß man sagen, daß der 51. Polizeistaat wohl kaum als sicherer Hafen in einem derartigen Sturm bezeichnet werden kann. Aber der Wohnsitzliberalismus ist nicht totzukriegen, und behäbig, tumb und froh überschritten wir die Grenze nach dem im Ausnahmezustand befindlichen Montreal, bewaffnet mit Passierscheinen der Behörden von Quebec, denen wir das Manuskript vorgelegt hatten und die uns warnend darauf hingewiesen hatten, daß der Inhalt nicht gegen kanadische Gesetze verstoßen dürfe.
Wenige Tage, nachhdem hunderttausend und etliche Exemplare der nun endlich gedruckten Zeitschrift aus der Buchbinderei kamen, konnte man sie in schiefen Stapeln auf Mountie-Hundeschlitten sehen, wo sie einen weiteren Monat lang im Schnnee Staub ansetzten. Es war ein einmaliges Beispiel von Kriegsrecht in Leihpacht von Ottawa nach Washington.
Die Mounties zogen die gesamte Auflage von Scanlan's Guerilla-Nummer ein, und zwar wenige Minuten, ehe die Hefte über die Grenze verfrachtet werden sollten, und einen Tag, nachdem das US-Zollamt 6000 Zeitschriften konfisziert hatte, die per Luftfracht nach San Francisco expediert worden waren, wo viele Guerillas sie mit Spannung erwarteten.
Die Gründe für die Zollbeschlagnahmung waren unklar. Die zerknitterten Zollbeamten, die in das Scanlan's-Büro in San Francisco hereinstolperten, hatten fotokopierte Seiten des Zollgesetzes bei sich, auf denen die Abschhnitte über die Ungesetzlichkeit des Imports von brutalitätsförderndem Material unterstrichen waren.
Das Ganze wurde noch dadurch verkompliziert, daß die 6000 Exemplare der gefürchteten Nummer am Flughafen bereits den Zoll passiert hatten. Der stellvertretende US-Justizminister in San Francisco versuchte zu erklären, 'jemand' in Washington habe es sich zweimal überlegt, ob diese Scanlan's-Nummer das Licht der Welt erblicken solle. Er hatte diese Presseinformation kaum von sich gegeben, als jemand anderes in Washington es sich offenbar zum dritten Mal überlegte. Die Zeitschriften wurden sieben Stunden später ohne Kommentar freigegeben; nur der Leiter des Zollamts sagte: 'Fragen Sie mich nicht warum!'
Es war nun eigentlich klargestellt, daß die fragliche Zeitschrift in die USA eingeführt und dort verkauft werden konnte. Die Mounties und die Polizei von Montreal jedoch setzten sich, ehe der nächste Tag anbrach, in Bewegung und beschlagnahmten sämtliche übrigen Exemplare (fast die ganze Auflage), die schon unterwegs und der Grenze gefährlich nahe waren.
Da das kanadische Ausnahmezustandsgesetz der Polizei das Recht einräumt, die Antwort auf Fragen nach Dingen, die sie für subversiv hält, zu verweigern, wurde ihr kaltblütig bewahrtes Schweigen über die Konfiszierung einer amerikanischen politischen Zeitschrift von der kanadischen Presse meist dahingehend interpretiert, daß Scanlan's der Subversion angeklagt werden würde oder daß Washington, insbesondere der FBl, Ottawa gebeten hatte, ihm einen kleinen Gefallen zu tun und Scanlan's einen gemeinen Streich zu spielen. So lautet die Ableitung aus dem Kriegsrecht in Leihpacht.
Es dauerte einen Monat, bis die Antwort gegeben wurde, und in dieser Zeit summierte sich Scanlan's Betriebsverlust aus der auf Eis gelegten Veröffentlichung auf fast $ 250.000. Dann gaben die kanadischhen Behörden endlich die Zeitschrift frei und erklärten, Scanlan's habe ein Presseregistrierungsgesetz mißachtet und müsse, falls die Schuld von einem berufsständischen Tribunal erwiesen werde, eine Geldstrafe von $ 2o bezahlen.
So verlief also die Geschhichte der Oktobersondermummer der Monatsschhrift Scanlan's: sie wurde zur Januarsondernummer, gelangte endlich im Februar in die amerikanischen Zeitungskioske (und die Händler in vielen Großstädten legten sie nicht aus) und wurde schließlich im März in die Briefkästen der Abonnenten geworfen, die größtenteils längst vergessen hatten, daß sie sie bestellt hatten. In der Zwischenzeit verwendete Scanlan's das von den Verlegern des vorliegenden Buches bezahlte Geld dazu, sich den Weg in die Bundeskonkursgerichte zu kaufen, auf den es durch den Wirbel der Ereignisse im Zusammenhang mit der Beschlagnahmung geweht worden war.
Als der Tumult vorüber war und die Nummer, die allen Stürmen getrotzt hatte, unter die Leute kam, waren viele Menschen schhockiert, weil sie - wie sich ein Nachrichtenmagazin tatsächlich beklagte - mit authentischen Berichten untermauert, vernünftig geschrieben und journalistisch einwandfrei war und weil sie in keiner Weise von schludriger, revolutionärer Verantwortungslosigkeit troff, wie man es von ihr erwartet hatte. Manche Leute meinten daher, das Ganze sei ein Reklametrick gewesen.
Was hatte nun eigentlich die Konfiskation einer amerikanischen politischen Veröffentlichung erstmals seit dem ähnlichen Vorgehen der Woodrow-Wilson-Verwaltung im Krieg, der alle Kriege beenden sollte, ins Rollen gebracht?
Es war mehr eine zeitbedingte Voreingenommenheit als eine Betriebsverschwörung - im Falle der Drucker war es eine Eskalation in Richtung auf die überorganisierte Repression der neuen bürgerlich-technokratischen Gesellschaft; im Falle der Regierung war es ein Rückgriff auf die Praktiken, die das letzte Mal üblich waren, als der amtierende Präsident einen Grad in politischer Macht besaß.
Das psychologische und politische Fundament dieser merkwürdigen Konfiskation war jedoch die uneingestandene Angst, die auch in dem vorliegenden Buch an zentraler Stelle steht - die Angst vor den Konsequenzen der Revolution, die unübersehbar sind, die Furcht, Terrorakten zm Opfer zu fallen, und die seltsame, unaussprechbare Vorahnung, daß aus Gründen, die die maskierten Teufel nicht bekanntgeben, etwas Entschleidendes in der Gesellschaft geschieht, das auf noch unbekannte Weise einen Wandel herbeiführt.
Das gefürchtete Scanla's-Heft stellt also tatsächlich eine Gefahr für die Regierung dar, die aber nichts zu tun hatte mit dem interessanten Gerücht, der Buchbinder habe Magnesium zum Gebrauch bei Höllenmaschinen in die einzelnen Exemplare gebunden, oder mit der weitverbreiteten Meinung, eine derart reichhaltige Dokumentierung und offene Darstellumg des Guerilla-Kriegs werde zwangsläufig zu Unannehmlichkeiten führen, etwa in dem Simn, daß ein Mädchen vom Bücherlesen schwanger wird. Die Gefahr bestand darin, daß das Heft die Realität des Guerilla-Kriegs bewies - eine Tatsache, die bisher verharmlost oder als etwas abgetan worden war, was nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Vom Standpunkt der Regierung aus ist es besser, wenn die Leute glauben, die Bombenattentate in Amerika seien das Werk einzelner Außenseiter und pickelgesichtiger Unzufriedener. Die Erkenntnis, daß in den USA ein echter Guerilla-Krieg erfolgreich geführt wird und daß man sich mit ihm als einer ernst zu nehmenden, wenn auch unbequemen politischen Realität befassen muß, wirft Fragen auf, die die Regierung größtenteils lieber nicht beantworten würde - nicht die dümmste oder unnatürlichste Frage lautet zum Beispiel: Warum kann die Regierung diese Kerle nicht schnappen? Im Vorwort zu der Zeitschrift schrieb ich:
'Wenn der Schock der Erkenntnis etwas oder jemanden in Bewegung setzt, sollten es die Regierung und der Präsident sein, die für eben diese perverse Beibehaltung der Unausgewogenheiten in der Gesellschaft verantwortlich sind, ohne die die Guerilla-Aktionen keine Unterstützung im Volk finden würden.'
Es ist die Absicht der Zeitschrift und in größerem Maß des vorliegenden Buches, diese Realität zu dokumentieren und zu erläutern. Die verwirrenden Fragen bewirken nur das, was sich natürlicherweise ergibt.
Während der elfmonatigen Marathonarbeit der Vorbereitungen für die Zeitschrift und das Buch erforschten und analysierten die Reporter und Mitarbeiter von Scanlan's jeden erkennbaren Fall von Terror und Sabotage des linken Flügels in Amerika im Verlauf der letzten fünf Jahre - das Guerilla-Phänomen in der von uns aufgespürten Form war vor 1965 nichht erkennbar. Die Forschhung und Unterlagensammlung der Regierung ist auf diesem Gebiet erschreckend mangelhaft und verworren, obgleich die Regierung natürlich mehr weiß, als sie zugibt.
Die Originaldokumentation des Guerilla-Kriegs in Amerika nimmt die Mitte des Buches ein. Sie ist eine historische Anmerkungen- und Beweissammlung zu der Analyse der allerdings bestürzend weit fortgeschrittenen Anfangsstadien des Stadtguerilla-Kriegs in der größten Industrienation der Welt.
Die Bedeutung des Phänomens wurde, wenn es möglich war, aus den Worten der Beteiligten herausgeschält. Die Mitarbeiter von Scanlan's interviewten viele amerikanische Radikale und Revolutionäre, die für die neue Generation von Stadtguerillas repräsentativ sind und die Aktionen ausführen, die sie 'bewaffnete Propaganda' nennen. Das Buch macht den Versuch einer Durchdringung der Tradition und Funktionsweise ihrer Politik, es analysiert ihre verschiedenartigen Motivierungen und ähnlichen Techniken, es beschreibt ihre Operationsbasen und ihre Unterstützungszentren in den Vereinigten Staaten, ihre gemeinsamen zivilisatorischen und internationalistischen Weltanschauungen, ihren Lcbensstil und ihre Lektüre, die Herkunft ihrer Waffen und ihrer Zerstörungsanleitungen.
Die derzeitigen Gewalttaten der Linken in den USA folgen Strategien, die bei früheren und heutigen Guerilla-Kämpfen in anderen Völkern entwickelt wurden. In jüngster Zeit sprengte der Guerilla-Krieg vor allem in Lateinamerika den Rahmen einer Taktik und wurde zu einer scharf umrissenen revolutionären Ideologie, die mit dem traditionellen Marxismus-Leninismus in Widerstreit tritt. Dies kommt einem weltweiten 'linken' Kommumismus gleich, der sowohl die kapitalistische Technokratie als auch die orthodoxe kommunistische Bürokratie ablehnt auf dem Wege zur proletalrischen Demokratie, dem von vielen Träumen umsponnenen Ziel des revolutionären Sozialismus, das durch Aufstellung und Ausrüstung einer Massenlinienpolitik auf der Basis des Guerilla-Kampfes erreicht werden soll.
Diese historische und politische Perspektive liegt der revolutionären Politik und Praktik der meisten amerikanischen Guerillas zugrunde; der Guerilla-Krieg ist ein politischer Krieg. Wir zeichnen also die Entwicklung des radikalen und revolutionären Bewußtseins in Amerika im Lauf des letzten Jahrzehnts nach bis zu dem Punkt, an dem es einigermaßen möglich ist festzustellen, wo sich die amerikanische Guerilla-Bewegung befindet und was als nächhstes zu erwarten ist.
Große Teile des vorliegenden Buches sind von ungewöhnlichem Journalismus geprägt. Aber der nicht offen erklärte und erschreckend wenig analysierte Guerilla-Krieg in Amerika ist eine so umfassende und vielschichtige Krise, daß eine ungewöhnliche Behhandlungsweise angebracht ist. Es ist unbedingt erforderlich, den politischen Unterschied zwischen den Guerilla-Gewalttaten und den üblicheren, nicht fokussierten Gewalttaten in Amerika eindeutig herauszustellen.
Der Guerilla-Krieg ist eine völlig andere politische Realität als alles, was in den USA bis jetzt geschah. Es wäre eine Tragödie, wenn er mißverstanden würde, sei es von denen, die ihm mit Reformen die Grundlage entziehen wollen, oder von denen, die ihn als altmodischen Terror oder gewöhnliches Rowdytum niederschlagen wollen. Zweck dieses Buches ist es, den Leser dahin zu führen, daß er das Wesen des Guerilla-Kriegs in den Vereinigten Staaten mindestens so genau versteht wie die Guerillas selbst.
Um den Guerilla-Krieg zu verstehen, ist es nicht nötig, an ihm teilzunehmen; ihn nicht zu verstehen bedeutet, ihn zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit zu machen.
Warren Hinckle San Francisco 20.März 1971
DVA - 1970 - ISBN: 3-421-01592-9
Weathermen contra Black Panthers