Rauschgift und Internet

Wie die Hippies das Internet erträglich machten. Wirklich begonnen hat es ein paar Jahre vorher, als der Yippie Abbie Hoffman im Juni 1971 YIPL herausbrachte. Aber dazu ein anderes mal mehr.

SWR-„Dschungel“
am 10.2.05
DIE BLUMENKINDER ALS DIE WAHREN VÄTER DES INTERNET

DIE HIPPIES UND IHR CYBERSPACE

MUSIK: aus „DARK STAR“ - GRATEFUL DEAD (aus dem instrumentalen Intro)

SPRECHER: San Francisco in den 70ern.

Im „Fillmore West“ spielten die “Grateful Dead”, gleich nebenan, im “Winterland” „Jefferson Airplane“ oder „Iron Butterfly“.

Doch in diesem Biotop gab es nicht nur Künstler und Kiffer, Philosophen und Poeten, sondern auch ein kleines Grüppchen mit einem seltsamen Hobby.

JIM WARREN hieß sein Anführer. Und der rief damals - in der linken Hand einen Joint, in der rechten einen Lötkolben – den „Homebrew-Computerclub“ ins Leben.

Konspirative Meetings und Workshops ließ er gerne in indianischen Schwitzhütten oder nacktbadend im wohltemperierten Holzbottich stattfinden.

Man bastelte und rechnete - und man meditierte zwischen „Ohm“ und „Om“!

Ein Hauch von New Age wehte so von Anbeginn an zwischen all den Bits & Bytes.

Auch „Apple“-Gründer STEVE JOBS – damals standesgemäß liiert mit der Protestsong-Ikone Joan Baez – gehörte zusammen mit seinem Alter Ego und späteren Geschäftspartner STEVE WOZNIAK zum inneren Zirkel der kalifornischen Computer-Hippies, als man dort die ersten Schaltkreise legte für die digitale Revolution.

MUSIK: ein paar Takte aus „SAG MIR WO DIE BLUMEN SIND“ – JOAN BAEZ (Deutsche Fassung !)

SPRECHER: Jim Warren war ein Blumenkind wie aus dem Bilderbuch.

Aber eines mit dem nötigen Organisationstalent.

Im April 1977 veranstaltete er die erste seiner bald legendären „Westcoast“-PC-Messen. Nachdem die Universitätsleitung von Stanford ihm ihre Räumlichkeiten verweigerte, hatte er schließlich das passende Ambiente gefunden.

Er rief seine Gemeinde zur Messe in die dritte der heiligen Hallen des Psychedelic Underground - ins „Civic Auditorium“ in der „Grove Street“.

Und der Publikumserfolg übertraf bei weitem alle Erwartungen:

mehr als 13.000 Computerfreaks stürmten innerhalb weniger Stunden den Saal.

MUSIK: aus „DARK STAR“ - GRATEFUL DEAD (aus dem instrumentalen Intro)

SPRECHER: Biodynamisches Geflügel, unbehandelte Sojasprossen, indianischer Wildreis und ayurvedischer Hibiskus-Tee. Als Tourneekoch der Hippie-Rock-Kommune „Grateful Dead“ sorgte CHARLIE AYERS lange Jahre für den kulinarischen Einklang von Speisen und Spirit.

Heute allerdings hat er einen anderen Arbeitgeber. Und auch der verlangt von ihm die gleiche, ideologisch einwandfreie Kost. In Mountain View / Kalifornien leitet Ayers die Kantine der Internetsuchmaschine „Google“.

Doch nicht nur der alte Küchenchef der „Dead-Heads“ wechselte aus der Welt des LSD in die Welt des WWW.

BARLOW-ZITAT: „Information wants to be FREE!“ 1

SPRECHER: JOHN PERRY BARLOW – einst enger Freund des „Grateful Dead“-Gitarristen Jerry Garcia und Texter von Songs wie „Estimated Prophet“ oder „Gentlemen start your Engines“ – wurde nachmals im Global Village zu einem der rührigsten Propheten des Internet.

BARLOW-ZITAT: „Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl...“ 2

SPRECHER: So beginnt seine „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“:

BARLOW-ZITAT: „...Ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes...“ 3

SPRECHER: Auf den Begriff „Cyberspace“, den er ins Vokabular der Netzgemeinde eingeführt hat, stieß er übrigens in einem kanadischen Science Fiction-Roman. Doch davon später mehr.

BARLOW-ZITAT: „...Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid uns nicht willkommen! Wo wir uns versammeln, da besitzt Ihr keine Macht mehr! ... Unsere Welt ist anders! Der Cyberspace besteht aus Beziehungen, Transaktionen und dem Denken selbst, positioniert wie eine stehende Welle im Netz der Kommunikation. Wir erschaffen eine Welt, die alle betreten können ohne Bevorzugung oder Vorurteil bezüglich Rasse, Wohlstand, militärischer Macht und Herkunft. Wir erschaffen eine Welt, in der jeder Einzelne an jedem Ort seine oder ihre Überzeugungen ausdrücken darf, wie individuell sie auch sind, ohne Angst davor, im Schweigen der Konformität aufgehen zu müssen. Auf keinen Fall werden wir Lösungen akzeptieren, die Ihr uns aufzudrängen versucht...“ 4

SPRECHER: Und, um diesem Bekenntnis Nachdruck zu verleihen, statuierte er gleich ein äußerst heikles Exempel.

BARLOW-ZITAT: „...In China, Deutschland, Frankreich, Russland, Singapur, Italien und den USA versucht Ihr, den Virus der Freiheit abzuwehren, indem Ihr Wachposten an den Grenzen des Cyberspace postiert... In den Vereinigten Staaten habt Ihr mit dem `Telecommunications Reform Act´ gerade ein Gesetz geschaffen, welches Eure eigene Verfassung herabwürdigt und die Träume von Jefferson, Washington und DeTocqueville beleidigt. Diese Träume müssen nun in uns wiedergeboren werden...“ 5

SPRECHER: Die US-Regierung hatte die Propagandaseite des Neonazis Ernst Zündel gesperrt. Und ausgerechnet Barlow und seine Mitstreiter sind es gewesen, der jene tiefbraune Homepage gespiegelt und über ihre eigenen Rechner wieder zurück ins Netz stellten. Kommentiert in der Gründung des „Free Speech Movement“ und unter dem piktographischen Zeichen eines kleinen „Blauen Bandes“ (das nicht zufällig an das AIDS-Symbol gemahnt).

BARLOW-ZITAT: „...Man kontrolliert Ideen nicht mit dem Versuch, ihre Äußerung zu untersagen!“ 6

SPRECHER: Doch nicht nur für die freie Meinungsäußerung von Weltanschauung – bis hin zu faschistischer Ideologie - setzt man sich ein, der Kampf gilt vor allem der naheliegender drohenden Verkommerzialisierung des World-Wide-Web. Und auch das steht ganz in der Tradition der „Grateful Dead“, die bei ihren Konzerten stets die besten Plätze für die Tonbänder der Raubkopierer zu reservieren pflegten.

BARLOW-ZITAT: „Music and Information wants to be FREE!“

MUSIK: aus „ESTIMATED PROPHET“ – GRATEFUL DEAD
(daraus den Refrain: „California, a Prophet on the burning Shore / California, I’ll be knocking on the Golden Door / Like an Angel standing in a Shaft of Light / Rising up to Paradise / I know I’m gonna shine...“)

SPRECHER: Große Worte und geschliffen formulierte Manifeste – die Hippies hatten immer schon ein Faible dafür. Und in Fragen der Neuen Medien gab es in den 60ern bereits einen in diesen Kreisen vielzitierten Stichwortgeber - der selbst allerdings alles andere als ein Blumenkind gewesen ist und viel lieber als ein erzkatholischer Fundamentalist vorstellt werden wollte.

Seine visionären Sentenzen und vielfältig ausdeutbaren Prophezeiungen paßten aber damals offenbar viel besser auf den Flokati als in den akademischen Hörsaal oder auf die Kanzel.

Marshall McLuhan, Medienphilosoph aus Toronto und Schöpfer der Rede vom „Global Village“, sagte in einem „Playboy“-Interview schon 1969:

ZITAT: „Der Computer trägt das Versprechen eines technologisch hergestellten Zustands universalen Verständnisses und universaler Einigkeit in sich, eines Vertieftseins in den Logos, das die Menschheit zu einer einzigen Familie verbinden und für dauerhafte Harmonie und Frieden sorgen könnte. Die Integration in einer psychischen Gemeinschaft, die schließlich durch die elektronischen Medien möglich geworden ist, könnte jenes universale Bewußtsein herbeiführen, das Dante vorausgesehen hat, als er prophezeite, daß die Menschen so lange zerbrochene Fragmente bleiben würden, bis sie in einem alles umfassenden Bewußtsein vereint würden. Nach christlichem Verständnis ist das nur eine neue Interpretation des mystischen Leibes Christi. Und Christus ist schließlich die höchste Ausweitung des Menschen !“ 7

MUSIK: aus „DARK STAR“ - GRATEFUL DEAD (aus dem instrumentalen Intro)
(Das Folgende vor musikalischem Hintergrund!)

SPRECHER: Apropos „Playboy“!

WILLIAM HENRY GATES III (genannt BILL) schildert die Anfangsjahre von „Microsoft“ gerne als ein jugendbewegt ekstatischer Aufbruch zum Soundtrack von Psychedelic Rock. Und in einem Gespräch mit ebenjenem investigativen Magazin gestand er tatsächlich einmal, das „Windows“-Logo, jenes beflügelt dahinschwebende viergeteilte Quadrat, verdanke sich einer Eingebung unter Einfluß von Lysergsäuredietylamid. Zumindest dementierte er nicht, als man ihn fragte:

ZITAT:
PLAYBOY: Haben Sie jemals in ihrem Leben LSD genommen?
GATES: (Grinst) Oh, die Sünden meiner Jugend, die liegen schon lange hinter mir !
PLAYBOY: Was heißt das ?
GATES: Das heißt, es gibt da gewisse Dinge, die ich vor meinem 25sten Lebensjahr getan habe!
PLAYBOY: Eine LSD-Geschichte erzählt davon, daß Sie einmal so lange auf einen Tisch gestarrt hätten, bis Sie glaubten, die Ecken der Tischplatte stürzten Ihnen plötzlich entgegen !
GATES: (Lächelt still vor sich hin)
PLAYBOY: Aha ! Man erinnert sich ! 8

SPRECHER: Heute allerdings gilt ja, wie man weiß, gerade „Microsoft“ – beheimatet in Seattle, der Geburtsstadt von Jimi Hendrix - als erklärter Feind aller freiheitsliebenden Netizens.

ZITAT: „In a World without Walls and Fences who needs Gates and Windows !?!“

SPRECHER: Vor allem das im „Woodstock“-Jahr 1969 von KEN THOMPSON in den „Bell-Laboratories“ und der linken Berkeley-University entwickelte entschieden basisdemokratische Betriebssystem „Unix“ und seine Weiterentwicklung zu „Linux“ durch den schrägen Finnen LINUS TORVALDS transportierte das alte Unabhängigkeitsideal ins neue Millennium. Während Gates den Quelltext seiner Programme streng unter Verschluß hält, wie seine Brüder im Geiste in Atlanta ihr Brauserezept, ist der „Linux“-Code dagegen jedem Weltbürger frei und offen einsehbar und Aufforderung an Jedermann zu kreativer Mitgestaltung.

MUSIK: kurzes Zitat aus „MASTERS OF WAR“ – BOB DYLAN

SPRECHER: Die Grundidee des Internet war, wie oft beschrieben, eine Kopfgeburt des „Kalten Krieges“. Die Angst davor, daß das damalige „Reich des Bösen“, die kommunistische Sowjetunion, mit einem einzigen gezielten Nuklearschlag die gesamte Kommunikationsstruktur der US-Armee zerstören könnte, führte zu dem Plan, ein Datennetz aus unendlich vielen Knoten und ohne einen sensiblen Zentralrechner zu konstruieren. Von Beginn an involviert in die Entwicklung des sog. „Arpanet“ waren die Universitäten Stanford in San Francisco und die UCLA in Los Angeles. Und damit hatten die Generäle, ob sie es nun wollten oder nicht, allerlei unerwünschte Mitwisser an Bord. Das neue Medium entstand also mitten im Dunstkreis kiffender Freaks. Denn aus diesem obskuren Milieu stammten – für die Armeeführung leider Gottes – eben auch die genialsten Programmierer. Und auf deren Know-How war man bei einem solch ambitionierten Projekt nun einmal angewiesen.

Das bedeutete, daß man in den Parks rund um die „Golden Gate“ von Beginn an mitdiskutieren konnte, wie die schöne neue Welt denn in näherer und fernerer Zukunft aussehen sollte.

Und das galt nicht nur für das Reich der Ideen und der Software. Auch das Herz der Hardware wurde zusammengelötet im gleichen Ambiente, in dem die ungezählten Garagenbands des Acid-Rock ihre Marshallverstärker aufdrehten.

MUSIK: aus „HAIR“ die einleitende Strophe des Titelsongs
(„She asks me why I'm just a hairy Guy / I'm hairy noon and night /
Hair that's a fright / I'm hairy high and low / Don't ask me why /
Don't know / It's not for lack of break /
Like the GRATEFUL DEAD...“)

SPRECHER: Eins jedenfalls, das steht fest: Das Who-is-Who der PC- und Internet-Pioniere ging äußerst selten zum Friseur !

JONATHAN POSTEL, der Sandalen und Pferdeschwanz tragende „Godfather of Internet“, arbeitete in Stanford schon in den 60ern für das „Arpanet“-Projekt und gehörte so zu den von Anfang an in alles Eingeweihten.
Er schuf später die Grundlagen für die noch heute praktizierte Verwaltung von Homepageadressen.

WHITFIELD DIFFIE, gleiches Modell , entwickelte das Präsentationsprogramm „Powerpoint“ - natürlich zunächst nur kompatibel mit dem politisch korrekten „Apple-MacIntosh“. Auch sein pfiffiges Verschlüsselungsprogramm „Public Key“ sollte eigentlich einzig dem Zweck dienen, staatlicher Schnüffelei in E-Mail-Korrespondenzen Einhalt zu gebieten.

Der erste Virenjäger, JOHN MCAFEE, tingelte jahrelang mit seiner Software im klapprigen Campingbus durch die USA, ehe ihn die grassierende Hackerpanik in den 90ern plötzlich und unerwartet unverschämt reich machen sollte. Er widmete sich der digitalen Vernetzung indianischer Siedlungen. Heute ist er stolzer Großgrundbesitzer in Colorado und ein kleines Zubrot verdient er sich nebenher auch noch: als Yogalehrer !

MUSIK: aus „DARK STAR“ - GRATEFUL DEAD (aus dem instrumentalen Intro)
(Das Folgende vor musikalischem Hintergrund!)

SPRECHER: Auch die ersten „Internetcafés“ als Szenetreffs gab es natürlich in „Haight Ashbury“ / San Francisco. Und wo anders als in Kalifornien wäre wohl jemand auf die Idee gekommen, das, was man dort tat, „Surfen“ zu nennen ?!

Populär wurde die faszinierende Welt der Elektronenhirne vor allem durch Kultfilme aus dem Genre der Science Fiction. Ein Rechner steht im Mittelpunkt von „Dark Star“ und natürlich vor allem spielt er eine Hauptrolle in Stanley Kubrick’s „2001 – Odyssee im Weltraum“.

Dazu eine kleine Denksportaufgabe:
HAL! Sie erinnern sich! H – A - L also hieß Kubrick’s renitenter Computer !
Und nun rücken Sie doch im Geiste einmal jeden dieser drei Buchstaben um eine Stelle weiter im Alphabet !! ... Aha!!!

Auch das Wort „Cyberspace“ entstammt ja, wie bereits erwähnt, einer Science Fiction-Story.

MUSIK: aus „NEUROMANCER“ – BILLY IDOL
(daraus: „...It's the Age of Destruction / In a World of Corruption / It's the Age of Destruction / And they hand us Oblivion / NEUROMANCER and I'm trancing...“)

SPRECHER: Im „Orwell“-Jahr 1984 publizierte WILLIAM GIBSON seinen Roman „NEUROMANCER“, in dem er eine düstere Zukunft schildert, in der reale und virtuelle Welt untrennbar ineinander verschlungen sind und in welcher die wüsten Cyberpunks ihr Unwesen treiben.
Kürzlich tauchte in den Archiven des Fernsehsenders CBC eine alte Reportage auf. Gedreht am 4. September 1967 – der „Sommer der Liebe“ neigte sich gerade seinem Ende entgegen - porträtierte ein Kamerateam das muntereTreiben kanadischer Hippies – am Beispiel eines 19jährigen, eines angehenden Schriftstellers: William Gibson höchstpersönlich !

MUSIK: aus „PAPERHOUSE “ – CAN (instrumentale Passage)

SPRECHER: Die Internet-Postille „Telepolis“ berichtete 1999 vom Camp des „Chaos Computer Club“ in Altlandsberg bei Berlin:

ZITAT: „Sie verbringen ihr Leben zwar größtenteils im Netz, aber der leibhafte Anblick verschafft schnell Klarheit über den kulturellen Kontext: Hier blüht die Hippie-Kultur! Natürlich nicht in Reinform, sondern in einer spezifischen Weiterentwicklung, einer Entwicklung, die die Verwirklichung einer humaneren Welt durch Verweigerung des Strebens nach materiellem Wohlstand und Karriere und die Beseitigung bürgerlicher Tabus mit High-Tech zusammendenkt und -lebt. Freie, friedvolle Naturbezogenheit und Glückserleben in Liebe, Musik, Rauschmittelgenuss, am besten mit einer 34-Megabit-Anbindung ans Internet und einem eigenen Raumschiff?
Eine der kultverdächtigen Gruppen auf dem Camp, waren die Cyberpunks, in der Bay Area um San Francisco beheimatet. `William Gibson ist an allem schuld´, schmunzelt JOHN GILMORE. Der Vierundvierzigjährige im Batikrock hat gut lachen, mehr oder weniger aus Versehen zum SUN- Millionär geworden, kann er sich nun ungestört seiner politischen Arbeit widmen und hat dabei auch noch gute Ratschläge für die aufmerksamen Kids parat. In Lectures mit Titeln wie `Unfug macht Karriere´ wird die frohe Botschaft verkündet, eine Gratwanderung zwischen kapitalistischer Raffinesse und politischem Engagement, wird dem Nachwuchs beigebracht, wie wichtig es ist, nicht nur Kisten zu hacken, sondern auch mit der richtigen Attitüde Social Engeneering zu betreiben !“ 9

MUSIK: aus „PAPERHOUSE “ – CAN (instrumentale Passage)

SPRECHER: Zwar gab es unter den Musikern des deutschen „Krautrock“ eine ganze Reihe passionierter Elektronikfreaks – allen voran die Kölner Stockhausen-Schüler der Combo „Can“ – doch die politische Avantgarde hierzulande bestimmte, je grüner sie wurde, umso kompromissloser:

ZITAT: „Jute statt Joystick!“

SPRECHER: Ihre Sorgen waren, wie sich bald zeigen sollte, durchaus berechtigt – vor allem die vor dem „Grossen Bruder“ – doch verbaute man sich damit zugleich einen kreativeren Zugang.

ZITAT: „Die Ökoszene vertrieb High-Tech mit Knoblauch und zunehmend auch mit dem Kreuz. Computer galten als Inbegriff der Entfremdung und Kontrolle! Vielleicht müßte man den PC mit Grasfaserkabel und anthroposophisch verträglicher Tastatur ausstatten...“ 10

SPRECHER: ...heißt es in Daniel Kulla’s Biographie über den deutschen Hacker-Guru WAU HOLLAND. Unter dem Titel „Der Phrasenprüfer“ schreibt er weiter:

ZITAT: „Mit Wau wehte ein bißchen von den Sechzigern und sehr viel von der untergründigen Hälfte der Siebziger herein...!“ 11

SPRECHER: In der digitalen Subkultur gab es also auch hierzulande durchaus Vordenker, welche die 68er-Ideale hochhielten und auch weitergaben. Allen voran – mit Latzhose, Jesuslatschen, Wollpullover und naturbelassenem Körpergeruch - Herwart Holland-Moritz genannt „Wau“ Holland. Mitbegründer und bis zu seinem Tod im Jahr 2001 Spiritus Rector des legendären „Chaos Computer Clubs“ (CCC), der im September 1981 im Gebäude der TAZ gegründet wurde.
Während die grüne Linke allein das Bild eines weltfremden, im Dämmerlicht seines Desktops verspargelten, sich von kalter Pizza und warmer Cola ernährenden Nerds heraufbeschwor, inspirierte der Heimcomputer andernorts Zippies oder Cyberpunks dazu, auf vollkommen neue Arten und Weisen gegen die staatlichen Obrigkeiten zu Felde zu ziehen und Großkonzerne, wenn möglich, in den Ruin zu treiben.

ZITAT: „Einloggen – Frohloggen – Ausloggen !
Wenn das rauskommt, wo wir reinkommen, kommen wir da rein, wo wir nicht mehr rauskommen!“ 12

SPRECHER: Und auch hier verfasste man nach amerikanischem Vorbild sogleich das ein oder andere Manifest. Besagter Wau Holland, politisch geschult in marxistischen Kadergruppen und poetisch als Autor der TAZ, veröffentlichte die erste deutsche „Hacker-Bibel“:

ZITAT: „Alle Informationen müssen frei sein !
Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen !
Mißtraue Autoritäten, fördere Dezentralisierung !
Der Zugang zu Computern... sollte unbegrenzt und vollständig sein !
Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen !
Beurteile einen Hacker nach dem, was er tut und nicht nach üblichen
Kriterien wie Aussehen, Alter, Rasse, Geschlecht oder gesellschaftlicher
Stellung !
Computer können Dein Leben zum Besseren verändern !“ 13

SPRECHER: Von der Justiz mehr als einmal des groben Unfugs bezichtigt, beharrte er immer darauf, daß das was er mache, kein „Grober Un-Fug“ sei, sondern, ganz im Gegenteil:
ZITAT: „Feiner Fug“! 14

SPRECHER: Andernorts jedenfalls hatte die Linke viel eher und geschlossener das subversive Potential des neuen Mediums erkannt und sofort damit begonnen, es eigenmächtig und querdenkend auszuloten.

Sogar TIM LEARY, der LSD-Papst der 60er, verkündete plötzlich neben seinem altbekannten:
ZITAT: „Turn on - Tune in & Drop out !“
SPRECHER: ...nun auch eine digitale Version seines Credos zur Bewußtseinserweiterung:
ZITAT: „Turn on - Boot up & Jack in !
Die auf Computer und Heimkommunikationszentralen aufbauende Informationsgesellschaft vervielfacht die menschliche Intelligenz zu einer bisher unvorstellbaren Größe!“ 15

SPRECHER: Selbst der Ur-Hippie überhaupt, KEN KESEY, Kopf der ersten Aussteigerkommune und weltberühmt als Autor der irren Geschichte „Einer flog über das Kuckucksnest“, ergriff jede Gelegenheit, auf Cyber-Happenings aufzutreten und sich wort- und gestenreich zu seiner unheilbaren Internetsucht zu bekennen.

MUSIK: aus „GENTLEMEN START YOUR ENGINES“ – GRATEFUL DEAD
(ab ca. 2.15: „...Gentlemen start your Engines / I got a Head full of vintage TNT /
They’re gonna blow me up instead of burying me...“)

SPRECHER: Doctor Timothy Leary hatte, wie immer, beschlossen, weiter zu gehen, als alle andern. Als er, schwer erkrankt an Krebs, spürte, daß es mit seinem Leben bald zu Ende sein würde, verfügte er, daß sein Ableben über Livekameras online in alle Rechner übertragen werden sollte. Das Globale Dorf sollte auf spektakuläre Weise von ihm Abschied nehmen. Und tatsächlich gab es wochenlang Bilder aus seinem Sterbezimmer zu sehen – bis seine Familie schließlich doch das Auge der webcam pietätvoll schloss, noch ehe er seinen letzten Atemzug getan hatte.

Die Zeitungen bekamen kurz darauf aber dennoch ihre Schlagzeile:

ZITAT: „ERSTE WELTRAUMBESTATTUNG
Gando/Gran Canaria - Zur ersten Weltraumbestattung hat eine amerikanische Trägerrakete die sterblichen Überreste von 24 Menschen von den Kanarischen Inseln aus ins All geschickt. Unter den Toten, deren Asche auf die Weltraumreise ging, waren der legendäre `Star Trek´-Autor Gene Roddenberry und Timothy Leary. Die Rakete `Pegasus XL´ war mit zwei Dutzend Mini-Urnen an Bord mit Hilfe eines Flugzeugs vom Typ `Lockheed L-1011Tristar´ auf eine Höhe von 11.000 Metern gebracht worden. Dort klinkte sich die am Bauch der Maschine angebrachte Rakete aus. Die Kleinst-Urnen hatten etwa die Größe von Lippenstiften und werden in einigen Monaten oder Jahren als Sternschnuppen im Orbit verglühen !“

SPRECHER: Besagter Gene Roddenberry übrigens, der arbeitete vor seiner Karriere als Film- und Fernsehautor bei der „Los Angeles Police“ – Ironie des Schicksals - ausgerechnet als Drogenfahnder - auf Leary's Fährten !

Kurz vor seinem Tod spielte Leary noch in einem Film über die Tochter des englischen Schriftstellers Lord Byron einen Professor. Ada Lovelace (geb. Byron) gilt als mathematisches Genie und Miterfinderin unserer modernen Computersprache.

MUSIK: aus „DARK STAR“ - GRATEFUL DEAD

BARLOW-ZITAT: „Wir werden im Cyberspace eine Zivilisation des Geistes erschaffen. Möge sie humaner und gerechter sein als die Welt, die Eure Regierungen bislang errichteten ! - John Perry Barlow (Davos, Schweiz, den 8. Februar 1996)16

ZITATE:

1-5, 16 zit. nach J.P. Barlow

6 zit. nach Helmut Neumann „Das Lexikon der Internetpioniere“ (S. 41) (Berlin 2002)

7 zit. nach Philip Marchand „Marshall McLuhan...“ (S. 292f ) (Stuttgart 1999)

8 zitiert und übersetzt nach http://beginnersinvest.about.com/library/titans/bl-billgatesinterview5.htm

9 zit. nach Cornelia Sollfrank: „Mehr Männer in Röcken als Frauen“ / www.telepolis.de/tp/deutsch/pop/event_2/4127/1.html

10-14 zit. nach Daniel Kulla „Wau Holland – Der Phrasenprüfer(Werner Pieper & Grüne Kraft Verlag / „Der Grüne Zweig 241“)

15 Wolfgang Sterneck „Cybertribevisionen“ (S. 189) (Nachtschatten-verlag / Solothurn 1999)