D. Kunzelmann, Brief aus AmmanWie allgemein bekannt, hält sich der Genosse Dieter Kunzelmann seit einiger Zeit bei den Guerillas der AL FATAH auf. Er hat das konkrete Studium des bewaffneten Aufstandes einer mehrjährigen Gefängnisstrafe vorgezogen. Die Genossin, mit der D.K. noch in Verbindung steht, übergibt seine Briefe freundlicherweise 883 exclusiv zur Veröffentlichung. Amman, Mitte November 69 Liebe M. Hier ist alles sehr einfach. Der Feind ist deutlich. Seine Waffen sind sichtbar. Solidarität braucht nicht gefordert zu werden. Sie entsteht von selbst. Ich habe hier zum ersten Mal begriffen, was es heißt, daß Menschen sich im "langandauernden Volksbefreiungskampf" revolutionär verändern. Diese revolutionäre Veränderung jedes Einzelnen ist es, die verhindert, daß nach dem bewaffneten Aufstand wieder Herrschaftsstrukturen aufgerichtet werden. In dem Moment, in dem sich ein Palestinenser der AL FATAH anschließt, beginnt eine ganz persönliche Entwicklung. Er lernt nicht nur schießen, sprengen und rennen. Er lernt seine Geschichte und seine Situation kennen und die Möglichkeit sie zu verändern. Er begreift sein Handeln zum ersten Mal nicht mehr subjektiv. Sein revolutionäres Selbstbewußtsein wächst täglich. Über 20 Jahre lang herrschten in den Flüchtlingslagern egoistische Interessen vor. Familieninteressen, materielle Interessen. Die Menschen in ihrer aussichtlosen Lage waren sich trotz des gemeinsamen Elends feindlich. In dem Augenblick, als sie die Chance sahen einzugreifen in das, was mit ihnen passiert, als sie ihre Möglichkeiten entdeckten, als sie begriffen, daß sie nichts mehr zu verlieren und alles zu gewinnen hatten, konnte etwas Neues anfangen. Was alles hier so einfach macht ist der Kampf. Wenn wir den Kampf nicht aufnehmen, sind wir verloren. Diese Erkenntnis ist hier sehr konkret. Unsere Erkenntnis ist dieselbe. Ich meine nicht, uns mit dem Kampf der Palestinenser schlicht zu identifizieren. Mir haben die Israelis nicht das Haus weggesprengt. Ich bin nicht im Flüchtlingslager geboren. Aber eines steht fest: Palestina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. "Wir haben 6 Millionen Juden vergast. Die Juden heißen heute Israelis. Wer den Faschismus bekämpft ist für Israel." So einfach ist das, und doch stimmt Alles, was wir über die sogenannte Gegengesellschaft erreichen wollten, ist ständig in Gefahr, kaputtzugehen. Weil wir vergessen haben, daß "gegen" etwas mit "Gegner" zu tun hat. Und Gegner etwas mit "Kampf". Ohne Kampf versacken wir im liberalen Morast, der sich in unserer Gegengesellschaft breitmacht. Wir lassen uns akzeptieren und werden Großmuftis, Kleinmuftis oder bleiben die Bananenbieger, die wir waren. Und je mehr unser Mut schwindet, desto mehr setzen wir unsere impotenten Hoffnungen auf die Gewalt des Proletariats. Oder wir rationalisieren unsere armseligen Karrieren als Idole der Subkultur. Warum müssen wir denn in "883" eine Anzeige machen daß mal einer dem Karl in den Knast schreibt? Das Zuschlagen unseres gemeinsamen Feindes schafft noch keine Solidarität. Wir befinden uns noch im Flüchtlingslager. Wir richten uns noch gegeneinander. Gegen die Schwuchteln, die Viecher, die Genossen Abweichler. Warum? Weil wir den Daß die Politmasken vom Palestina-Kommitee die Bombenchance nicht genutzt haben, um eine Kampagne zu starten, zeigt nur ihr rein theoretisches Verhältnis zu politischer Arbeit und die Vorherrschaft des Judenkomplexes bei allen Fragestellungen. Die Reaktion von GUPS zeigt deutlich ihre Situation: unerwünschte Ausländer. Ihr Platz ist an der Front in Palestina. Aber noch können sie nicht hierher, weil es keine Gruppe gibt in Deutschland, die ihre Arbeit übernommen hätte. Das heißt: wir müssen diese Arbeit sofort in die Hand nehmen. In das Stadium der spontanen Aktion ohne ausreichende Vermittlung dürfen wir nicht mehr zurückfallen. Unsere Existenzformen werden sich durch den Kampf bestimmen. Casparigeschichten werden von allein aufhören, daraus können wir lernen. Die Bombenleger scheinen etwas weiter zu sein, sonst wären sie auch schon weg vom großen Fenster. Wichtig ist: Das Gelände gut kennen. Berlin gehört schon uns. Wir sind die einzigen, die sich darin bewegen, der Rest vegetiert und starrt auf den Mond. Den Vorsprung können wir nutzen. Anders hat unsere Gegengesellschaft keinen Sinn mehr. Sie muß die Basis werden, in der wir uns bewegen können. Überflüssige Kontakte werden von alleine aufhören. Grüße an alle anderen. Schickt mir weiter alles Material, besonders Tupamaros. Quelle: Der Blues ( categories: )
|