Der Berliner »Blues«

Günter Langer

Tupamaros und umherschweifende Haschrebellen zwischen Wahnsinn und Verstand

In: Heiss und Kalt, Die Jahre 1945-69, Red. E. Siepmann, Berlin 1993, 4. Auflage, S.649ff

Wenn es irgendwo und irgendwann eine innige Beziehung zwischen Musik und Politik gegeben hat, dann in der Berliner Scene der endsechziger Jahre. Der Umstand, daß es sich zumeist um US-amerikanische Musik handelte, ist nebensächlich, er unterstreicht nur einen - wenn auch begrenzten — formalen und inhaltlichen Gleichklang der Jugendkulturen beiderseits des Atlantiks. Die subversivste und militanteste Gruppe in Berlin erwarb sich den Namen »Der Blues«. Von diesem »Blues« soll im folgenden die Rede sein.

I. Wo kein Terror ist, muß er erfunden werden!

Nicht nur Reagan handelt nach dieser Devise. Produkt bzw. Brandmanager erfinden ihn nicht, sie üben ihn aus. Sie verstehen sich auf Konsum-Terror und sichern sich so ihre Jobs. Politmanager oder Verwaltungshengste lassen sich aus dem gleichen Grund zuweilen (wie eben Reagen auf anderer Ebene) Vergleichbares einfallen: sie produzieren Bombenterror, oder lassen ihn produzieren.

You don't need a weatherman to know which way the wind blows
(Bob Dylan in Subterranean Homesick Blues)

Das »Engagement« der USA in Vietnam, bislang unübertroffener Höhepunkt schmutziger Interventionen in der sogenannten Dritten Welt, drohte in den sechziger Jahren überzugreifen auf die Bundesrepublik Deutschland. Kanzler Ludwig Erhard, angeblicher Vater des deutschen Nachkriegswirtschaftswunders, stellte öffentlich Überlegungen über eine deutsche Beteiligung am Krieg in Südostasien an. Die antiautoritäre Fraktion des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) wußte, was in einem solchen Ernstfall zu tun wäre: Rudi Dutschke und andere propagierten konkrete Sabotage durch Massenaktionen, aber auch durch klandestine Operationen. Im Klartext bedeutete dies nichts anderes als den Versuch, guerillaähnliche Gruppen in den Metropolen zu etablieren. Die Weathermen in den USA (Fraktion des dortigen SDS — Students for a Demokratie Society —, die sich nach oben genannter Dylan-Zeile benannte) setzten gleiche Überlegungen bereits in die Tat um. (Ihre spektakulärste Aktion war das Niederbrennen von Einberufungsbüros in verschiedenen Universitätscampi.) Der Berliner Verfassungsschutz sah seine Stunde gekommen.

Big Brother's Little Helper

Ob der damalige SPD-Innensenator und Chef von Polizei und Verfassungsschutz, Kurt (»Kutte«) Neubauer, den Rolling Stones Song »Mother's Little Helper« kannte, darf bezweifelt werden. Ein Mann von Statur und Geisteshaltung ähnlich der seines Nachfolgers, Heinrich Lummer, hört Heino und nicht Mick Jagger. Dennoch hat er sich die Botschaft aus dem Song zu Herzen genommen und entsprechend seinen Bedürfnissen adaptiert. Er ließ seine Verfassungsschutzleute der Bevölkerung zeigen, daß auch kleine Leute zu Großem fähig sind. Das Große sollte der Kampf, der Sieg sein. Wogegen aber kämpfen? Kutte oder einer seiner Untergebenen wußte Rat! Man ließ einen Agent provocateur auf die Scene los. Dieser feine »Mitarbeiter« riet dann tatsächlich den Genossen zu illegaler Aktionen und brachte auch gleich entsprechendes Werkzeug mit: Waffen, Bomben und Rauschgift. Sein Name; Peter Urbach, genannt »S-Bahn-Peter«.

Urbachs Legende kam gut an: Als Waise in seelenlosen Heimen aufgewachsen, hätte er den Charakter dieses kapitalistischen Staates erkannt. Auch mit dem Osten sei er über Kreuz, da ihn die Deutsche Reichsbahn wegen angeblicher ideologischer Abweichung entlassen habe. (Aus S-Bahn-Kreisen war später jedoch zu hören, Urban hätte geklaut und sei deshalb gefeuert worden.) Nunmehr eltern- und arbeitslos, sei er gezwungen, sich durch Gelegenheitsjobs und Villeneinbrüche durchzuschlagen. Seine handwerklichen Fähigkeiten öffneten ihm die Türen zu vielen interessanten Observationsobjekten: In der Kommune l goß er den Betonfußboden, in diversen Wohngemeinschaften reparierte er die sanitären Anlagen. Die Beziehung zur K l erwies sich für ihn als größter Aktivposten. Denn wer die Gesinnungsprüfung durch Langhans, Teufel und Kunzelmann überstanden hatte, dem wurde auch anderswo vertraut.

So bot Urbach SDS-Leuten Pistolen an, die diese wohl fast alle abgelehnt haben dürften, ohne aber über diesen Vorfall untereinander zu diskutieren. Es passierte auch schon, daß er Genossen mitten auf dem Ku-Damm versuchte davon zu überzeugen, daß es doch nicht anginge, daß die Frankfurter Kaufhausbrandstifter um Andreas Baader immer noch im Knast sitzen müßten. (Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein hatten 1968 in Frankfurt ein Kaufhaus angezündet, um gegen den Konsumterror ein Fanal zu setzen.) Es sei endlich an der Zeit, an Befreiungsaktionen zu denken. Eine derartige Forderung schien damals zu irrsinnig, als daß sie jemand hätte ernst nehmen können. Aber trotzdem schlug niemand Alarm. Anläßlich der Osterunruhen 1968, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, schleppte Urbach die Mollies herbei, mit denen die Springerautos angesteckt wurden. Für einen »feurigen« Empfang Nixons zu Weihnachten '68 verteilte er an verschiedene Kommunen und einzelne Genossen Bomben, die jedoch nicht verwendet wurden. Bommi Baumann (später Mitbegründer der »Bewegung 2. Juni«) beschreibt in seinen Memoiren (»Wie alles anfing«) immerhin den mißglückten Versuch, diese Dinger Nixon zur Kenntnis zu bringen.

Canned Heat

Bommi entstammt einfachen, kleinbürgerlich-proletarischen Verhältnissen. Schule und Ausbildung hatte er irgendwann geschmissen, Studentendeutsch und intellektueller Leistungsdruck waren ihm fremd, stattdessen verstand er etwas von Musik, speziell vom Blues. Unzufrieden mit der Unverbindlichkeit, die im SDS herrschte, und unzufrieden mit der Psycho-Orientierung in K l und K 2, träumte er von einer neuen Art Kommune, von einer Kommune, in der es keine Trennung zwischen Theorie und Praxis, von Kopf- und Handarbeit, von Reden und Handeln mehr geben durfte. Diese Kommune realisierte sich tatsächlich in einer herrlichen altbürgerlichen 8-Zimmer-wohnung in der Charlottenburger Wielandstraße 13, nicht weit ab vom Ku-Damm, nicht weit ab vom Republikanischen Club (damals APO-Zentrale), und nicht weit ab vom INFI, dem Dritte-Welt-Institut des SDS, und auch nicht weit ab von der »Grotte« bzw. dem »Schotten« in der Schlüterstraße, wo sich allabendlich die APO-Strategen beim Bier trafen.

Übergroße Poster von Bakunin und Stalin zierten das Berliner Zimmer. Die Kommunarden freuten sich über jeden Besucher, der Erstaunen ob dieses Widerspruchs ausdrückte, konnte man ihn doch daraufhin aufklären, daß beide einen gemeinsamen Nenner hatten: Terror, revolutionären Terror. Im übrigen sei die Spaltung zwischen Anarchismus und Kommunismus sowieso aufzuheben, Ideologien seien zu bekämpfen. Einzig ein Glaubenssatz blieb erhalten: Wahnsinn und Verstand trennt nur eine dünne Wand! Und Wände waren auch abzulehnen. Die »Doors« im fernen Kalifornien kannten das gleiche Problem, sie wollten eben die »Türen« zwischen hier und da sein. In der Wielandkommune schlief und fickte man einträchtig zusammen im größten Raum, nebeneinander, wie im Karnickelstall. (Nur Kindern und einigen Doktoranden wurden Extrawürste gebraten.) Kurz: Die Atmosphäre entsprach dem Namen der in der Kommune meistgespielten Blues-Rock-Gruppe (auch aus Kalifornien): Canned Heat.

Ein anderer »ideologischer« Bestandteil kam aus Italien: die Italo-Western, hier insbesondere der Film »Von Angesicht zu Angesicht« mit Tomas Milian und Gian Maria Volonte in den Rollen zweier Führer einer spontanen Volksrebellion in Mexiko. Während Volonte den kaltblütigen Strategen verkörperte, der den »Notwendigkeiten« gehorchte und notfalls über Leichen ging, setzte Milian den gefühlvollen, lebens- und liebesorientierten Part dagegen. Für die Wielandkommunarden war Milian natürlich der klare Favorit, mithin Identifikationsobjekt.

Ein weiteres Identifikationsobjekt war Marion Brandos Rolle in »Queimada«. Auf einer von Schwarzen bewohnten Karibikinsel waren die Zustände derart, daß nur eine Revolution Abhilfe schaffen konnte. Es fehlte nur noch der Chefrevolutionär. Die Einheimischen selbst hatten keinen, so mußte sich ein Yankee bereitfinden: Marion Brando. Der »Cangaceiro« dagegen war authentischer brasilianischer Rebell und genoß deshalb auch besondere Hochachtung in Kommunekreisen. Nur die Frauen fanden ein Haar in der Suppe, ihnen schien Cangaceiro zu sehr Macho zu sein. Immerhin war er aber der Schönste, weil Malerischste.

Die Wielandkommune entwickelte sich schnell zum Magneten der Berliner subversiven Szene: Die K1 kam regelmäßig zum Baden (wo sonst hätten 3 bis 4 Personen auf einmal Platz im Kachelbad gefunden?), die SDS-Führer holten sich Unterstützung für fast jede subversive Aktion, die damals stattfand, selbst Rocker-Eike und seine Rockerbande aus dem Märkischen Viertel suchten dort Unterschlupf. Griechische antifaschistische Genossen holten sich Unterstützung für ihre klandestinen Bedürfnisse, Radio Revolution (Berlins erste freie und mobile Radio Station) fand dort Disc-Jockeys, politische Kommentatoren und Chauffeure.

Bommi beschreibt die Wielandkommune als ein wichtiges Durchgangsstadium hin zur Haschrebellen- und zur Stadtguerillabewegung. Dies stimmt insoweit, als gerade dort radikaler als je zuvor jeglicher Schleier von verstaubten Theorien und antiquierter Praxis gerissen wurde. Dies stimmt auch insoweit, als Bommi dort seinen zukünftigen Partner gefunden hat: Georg von Rauch. Stellte Bommi die individuellen Bedürfnisse in den Vordergrund seiner Überlegungen, war für Georg das wichtigste der unbedingte Wille, der Wille zur Veränderung, der Wille zur Tat, die versteinerten Verhältnisse wollte er unbedingt zum

Tanzen bringen, notfalls auch mit Zwang. Für die Mehrzahl der Beteiligten stimmt die Beschreibung jedoch nicht: Sie hat die Kamikaze-Strategie abgelehnt und ihre Energie in die verschiedensten Projekte eingebracht. Von Einheit konnte ohnehin keine Rede sein: Nach wenig mehr als zwei Monaten wurde die Shit-Raucher-Fraktion rausgeschmissen, und im fünften Monat bedrohte Georg Bommi mit dem Brotmesser, woraufhin letzterer es vorzog, auch das Weite zu suchen. (Erst Monate später kam es zur Wiedervereinigung der beiden.)

Ballate di Pinelli

Im Frühjahr 1969 ereignete sich auf der Mailänder Piazza Fontana Schreckliches: Die Banca Della Agricoltura flog in die Luft, und mit ihr Dutzende von Menschen. Die Polizei und die Medien hatten schnell die Schuldigen ausgemacht:

eine norditalienische Anarchogruppe um den Tänzer Pie-tro Valpreda und den Arbeiter Pinelli. Pinelli »ließen« sie aus dem 5. Stock des Polizeipräsidiums fallen, und Valpreda lochten sie jahrelang unschuldig ein. Erst Jahre später kam die Wahrheit ans Tageslicht: Im Auftrage der mysteriösen Geheimloge P 2 hatte die Neofaschistengruppe Nuove Ordine diese Untat begangen.

Kurz vor diesem Verbrechen, das die P-2-Loge in Zusammenarbeit mit italienischen Geheimdienstlern in Szene

gesetzt hatte, kam es zu einer fast schon zur Legende gewordenen Italienreise der Wielandkommunarden und einiger SDSler, der angeblich ersten Waffenbeschaffungstour der Roten Armee Fraktion (RAF). Man fuhr in zwei Autos und traf sich in Trento bei einem deutschen Schriftsteller, der sich da einen schönen Lenz machte und den dortigen Studentenführern um Mauro Rostagno (heute ein Sannyasin) die Theorien Karl Korschs nahebrachte. Ziel der Reise war die Herstellung von Kontakten und Unterstützung für griechische Genossen, die ihrerseits sich im Entstehen befindlichen antifaschistischen Guerillagruppen in ihrem Heimatland politisch und materiell unter die Arme greifen wollten. Warum konnten die Griechen das aber nicht selber machen? Sie hatten angeblich zu wenig Kontakte in Italien, und vielleicht ließ sich doch durch SDSler die eine oder andere zusätzliche Quelle aufschließen , zumal der Name SDS-Berlin überall in Europa wie ein Dietrich wirkte. Fast alle Türen öffneten sich wie von selbst, die Gruppe wurde tatsächlich in ganz Norditalien rumgereicht: zur linkssozialistischen PSIUP in Vicenza, zu den Altanarchisten in Carrara, zum schwerreichen Links-Verleger Peltrinelli (kurz darauf angeblich bei einem Sprengstoffattentat auf eine Stromleitung umgekommen), zu den Maoisten des Renato Curcio in Mailand und anderen. Mario Curcio lehnte interessanterweise jede Zusammenarbeit rundweg ab. Zu der Zeit war er zu viel mit dem Aufbau einer wahrhaft marxistisch-leninistischen Partei des Proletariats beschäftigt. Erst ein bis zwei Jahre später kam ihm die Idee, die Brigate Rosse (Rote Brigaden) zu gründen.

Ein Programmpunkt jedoch schlug fehl: Urbach wollte in Vicenza zur Gruppe stoßen, ließ sich jedoch nicht blicken. Stattdessen wurden die Berliner von den italienischen Genossen auf die »unauffälligen« Limousinen rings um ihr Parteibüro aufmerksam gemacht. Diese Limousinen eskortierten die Berliner anschließend bis ca. 10 km vor die Stadtgrenze und überließen sie ihrem weiteren Schicksal, in diesem Fall dem nächtlichen Nebel auf der Autobahn nach Bologna, wo sie dann im Büro der PCI Unterschlupf fanden. S-Bahn-Peter hatte bereits in Berlin natürlich Wind von der Reise bekommen und angeboten, seine Connections in die Sache einzubringen. Offensichtlich von ihm stammt die später publizierte Verfassungsschutzversion von der angeblichen Absicht, in Italien Waffen für die Gründung der RAF besorgen zu wollen. Allerdings glaubten Urbachs Auftraggeber selbst nicht so recht an die Story, denn auch nach Veröffentlichung des Berichts unter voller Namensnennung einiger Beteiligter hat weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft etwas unternommen, Ermittlungsverfahren wurden in dieser Angelegenheit niemals eröffnet, obwohl sie sonst in dieser Hinsicht nicht gerade faul waren.

Allen Beteiligten an dieser Reise war von nun an sonnenklar, woher bei Urbach der Wind wehte. Diese Erkenntnis verbreiteten sie auch daheim in Berlin, und zwar auf einer eigens zu diesem Zwecke einberufenen großen Versammlung im Rechtsanwaltsbüro des Horst Mahler. Allerdings ließ es sich Bommi nicht nehmen, weiterhin mit Urbach gelegentlich Kontakt zu pflegen. Er heuchelte Interesse an Urbachs Waffenkatalogen, die der ihm im Beisein von Frau und Kind in seiner Wohnung in der Wilhelmsaue 136 zeigte. Als Belohnung für das Interesse schenkte ihm Urbach schwarzen Pakistan!, Shit der besten Sorte. Auf der Szene erschien Bommi danach regelmäßig mit der Bemerkung, der Verfassungsschutz hätte wieder die Spendierhosen angehabt. Weshalb Horst Mahler weiterhin Vertrauen in Urbach setzte, ist allen anderen stets ein Geheimnis geblieben. Erst nachdem Urbach Baader hatte hochgehen lassen, kamen Abgesandte der späteren RAF zur Szene-Zeitung 883, um einen Steckbrief mit Urbachs Foto veröffentlichen zu lassen. Das Foto sollte mit dem Spruch versehen werden »Zum Abschuß freigegeben«. Die 883 hatte glücklicherweise bessere Stories parat.

Die griechischen Genossen wurden unterdessen nicht vergessen, aber sie kümmerten sich selbst um die Italienkontakte. Inwieweit sie Erfolge in ihrem Sinne erzielten, kann nicht mehr beurteilt werden, da sich ihre Spur in der Klandestinität verloren hat. Vergessen werden sollte aber nicht die Bedeutung, die die Existenz des griechischen Faschismus für die Diskussion in der Berliner Linken in jener Zeit hatte. Das INFI (Internationales Nachrichten- und Forschungsinstitut des SDS) hatte immerhin eine umfangreiche »Analyse Griechenlands — Geschichte und Struktur der Junta, mögliche Formen des Widerstands« erstellt. Gert von Paczenskys Deutsches Panorama überschrieb einen Artikel Serge Mallets mit: »In Griechenland droht ein zweites Vietnam«. (Vgl. Deutsches Panorama Nr. 11/1967, S. 16) Die Furcht war allgemein verbreitet, daß sich der Faschismus von Südeuropa ausgehend auch nach Mittel- bzw. Westeuropa ausbreiten könnte. Portugal und Spanien waren noch fest im Griff der altfaschistischen Garde, und in Italien waren verschiedene Gruppen, am spektakulärsten die Gruppe um den Fürsten Borghese, damit beschäftigt, einen faschistischen Putsch vorzubereiten. Es ist zu vermuten, daß Feltrinelli eventuell diese Gefahr überschätzt hat und sich deshalb in subversive Aktivitäten verwickeln ließ, die ihn letztlich das Leben kosteten.

II. Kick Out the Jams, Motherfuckers!

Die endsechziger Jahre in den USA waren nicht nur geprägt durch den ständig sich eskalierenden Vietnamkrieg und den Protest dagegen, sondern auch von dem Versuch der schwarzen Bevölkerung, die eigene Identität zu finden, und von dem Versuch, sich von der täglichen »weißen« Repression zu befreien. Dieser Versuch gipfelte einerseits in verschiedenen Ghettoaufständen, andererseits in dem Versuch, sich auch bewaffnet zu verteidigen. Dieser Versuch nahm organisatorische Gestalt in der Gründung der »Black Panther Party« an. In der »Motor

City« Detroit machten sich auch weiße Jugendliche diese Strategie zu eigen, sie bildeten eine »White Panther Party«. Musikalisch wurden diese Jugendlichen von der Rockgruppe MC 5 begleitet, die aus heutiger Sicht ein Vorläufer des Punk gewesen sein könnte. MC 5 forderte auf zur völligen Befreiung von allen hergebrachten Zwängen:

Kick out the jams, motherfuckers! Die MC5-Musik fand auch ihren Weg nach Berlin. Vor jeder militanten Demo oder Aktion suchten deren Protagonisten Aufmunterung beim Abspielen der MC5-Scheibe.

Bisher wurde sozusagen der »Sommer« der Bewegung beschrieben, der aber näherte sich bald dem »Indianersommer«.

Summer's Almost Gone

Der ultrarechte Reagan-Unterstützer Senator Jesse Helms und dessen »moral majority«-Prediger Jerry Falwell sind auf der US-politischen Bühne keine Neuheit. Rechte Bürgerinitiativen, wie zum Beispiel die Liga für den Anstand, zogen auch in den Sechzigern gegen den Sittenverfall zu Felde. Ein beliebtes Angriffsziel war die kalifornische Rockgruppe The Doors, Gegner des Vietnamkrieges und Propheten der sexuellen Revolution. Ihr romantisch aggressiver Rocksound, gepaart mit Jim Morrisons Charisma und Sex-appeal, wirkte zudem besonders anziehend auf junge US-Amerikanerinnen. Auch aus Berliner SDS-Stuben waren die Doors nicht wegzudenken, ihre Frage konnte aber hier gleichfalls nicht beantwortet werden: »Where will we be when the summer's gone... ?

Die Jahreswende 1968/69 markiert das Ende einer Phase, in der der Protest gegen autoritäre Herrschaft und neoimperialistische Politik in der Dritten Welt hauptsächlich von Studenten getragen wurde. Der SDS löste sich formell auf, die übrig gebliebenen Kader sammelten sich entweder in dem ebenfalls niedergehenden Republikanischen Club oder versuchten unters Volk zu gehen, indem sie Basisgruppen initiierten oder »proletarische« Parteien gründeten. Kommunikationsforum wurde die Rote Presse Korrespondenz, gemeinsame Praxis konnte aber nicht mehr hergestellt werden.

In einer solchen Phase, in der sich alles umorientierte, niemand mehr so recht wußte, was richtig oder falsch war, gab es keine Verbindlichkeit oder gar Verantwortung mehr gegenüber den anderen. Dies förderte natürlich auch den Zerfall der Sitten, bzw. der Solidarität. Beispielsweise entschlossen sich die Wielandkommunarden, die Fernsehapparate des Republikanischen Clubs zu »enteignen«, nur weil es Spaß brachte, auf fünf verschiedenen Bildschirmen gleichzeitig fünf verschiedene Programme im Berliner Zimmer der eigenen Kommune laufen zu lassen. Immerhin bot sich Polizeispitzel Urbach hier erneut Gelegenheit, sich Liebkind zu machen, das heißt, »Vertrauen' zu erwerben, indem er im RC den Tip gab, wo die Geräte zu finden wären.

Mother's Little Helper

Genau wie die kleine Pille im Stones-Song in den Haushalt der Mütter fand, zogen die Drogen in die Kommunen ein. Zunächst sah es so aus, als ob dem Aktionismus der Kommunen mit der angepriesenen »Bewußtseinserweiterung« der Todesstoß versetzt worden wäre. In Wirklichkeit bereitete der Drogenkonsum den Boden für eine gefährliche und selbstzerstörerische Phase. Diese Phase ermöglichte die Verschmelzung zwischen der aktionistischen Kommunebewegung mit der drogenkonsumierenden Subkultur. Die wichtigste Figur in diesem Prozeß war zweifellos Bommi Baumann. Er war in beiden Gruppen zu Hause und wurde als integrer Typ überall akzeptiert. Es kristallisierten sich zwei Gruppen heraus, aus deren Reservoir später die Bewegung 2. Juni hervorgehen sollte.

Eine Gruppe fand den Weg über die Knastwoche in Ebrach/Bayern nach Nahost zur El Fatah und zurück in den Berliner Untergrund. Fortan fanden Aktionen unter dem Namen Tupamaros Westberlin (TW) statt. Die andere Gruppe konstituierte sich inmitten der Subkultur. Sie wollte es nicht länger hinnehmen, Joints versteckt rauchen zu müssen. Sie propagierte den massenhaften Bruch des bestehenden Opiumgesetzes, das auch das Rauchen von Marijuana und Haschisch verbietet. Als Persiflage auf die Politgruppen nannte sie sich »Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen«, figurierte aber auch als »Vampirvollzugsausschuß« und unter ähnlichen Namen.

War, children, it's just a shot away

(The Rolling Stones in Gimmie Shelter)

Das Erlebnis des nicht so fernen Krieges in Nahost hat die TW-Gruppe in ihrem Glauben bestärkt, daß die Zukunft dem Kampf der Palästinenser gehöre. Vietnam verlor in ihren Augen an Wichtigkeit, war doch die Niederlage der USA angeblich schon unabwendbar. Aus welchen Gründen die TW-Gruppe sich fast ausschließlich auf klandestine Operationen verlegt hat, läßt sich schwer nach vollziehen. Offenbar hat sie das nahöstliche Milieu dermaßen stark beeindruckt, daß eine andere als die Guerillakampfform für indiskutabel gehalten wurde.

Vielleicht war ihre Geisteshaltung auch ähnlich derjenigen, die Boris Sawinkow in seinen »Erinnerungen eines Terroristen« (Berlin 1929) bei seinen russischen Terroristen Anfang des Jahrhunderts beschrieben hat: Sie liebten die Revolution so tief und innig, wie sie nur diejenigen lieben, welche ihr Leben für sie geben. Terror verglichen sie mit religiösem Opfer. Den Terror stellten diejenigen in den Mittelpunkt der Revolution, die sich psychisch nicht mit Propaganda und Agitation beschäftigen konnten, ohne sich dabei selbst zu zerbrechen.

Wie auch immer, die erste Aktion, die den Tupamaros Westberlin zugeschrieben wird, der Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße, der glücklicherweise schiefging, erwies sich für die Gruppe als fatal. Die Ablehnung dieser Tat war so total, daß die Gruppe dadurch auch innerhalb der Linken vollkommen isoliert blieb. Einige folgende, weniger spektakuläre Aktionen, die mit dem Kürzel TW in Verbindung gebracht wurden, konnten das Scheitern der Gruppe aber nicht mehr verhindern. Sie löste sich auf und ihre Spur verlor sich in der vorher so belächelten Subkultur.

Hard Rock Cafe

Auch in Berlin hätte Jim Morrison sein Hard Rock Cafe finden können, im Zeichen der 12 Tierkreise, im Zodiac. Es war eine der größten Merkwürdigkeiten der endsechziger Jahre. Oben befand sich die inzwischen berühmte Schaubühne am Halleschen Ufer, in der die Truppe um Peter Stein Brecht und Gorki spielte, und unten im Theater-

Cafe hatte sich das Zodiac eingenistet, durch dünne Türen getrennt vom hinteren Saal, in dem sich Edgar Froeses Tangerine Dream in höllischem Krach übte. Im Zodiac tranken nicht nur die Theaterfreaks ihren Pausendrink, sondern es traf sich dort im Neonlicht die Scene der Ausge-flippten, die Scene der alternden Gammler der Frühsechziger, die Scene der Undergroundmusikfreunde, die Sceni der Anhänger Schwarzer Messen, die Scene der Freunde des roten Libanon und der roten Banderolen (gängige Shit- und LSD-Sorten jener Zeit), die Scene der Individualisten und Existentialisten aller Art.

Einige Zodiak-Stammgäste sollten es noch zu Berühmtheit bringen: Von Bommi Baumann war schon die Rede, Berni Braun und Bär Reinders hängte man später Mitgliedschaft in der RAF bzw. Führerschaft in der Bewegung 2. Juni an, Karl Pawla genoß schon durch seinen Schiß vor den Richtertisch im Moabiter Gerichtssaal hohes Ansehen, Löffel wurde später des Mordes an drei Geldtransporteuren bezichtigt und beging im Knast noch vor der Verhandlung Selbstmord. Hier lernte Bommi seine Freundin Hella kennen, die schon damals harte Sachen konsumierte und dadurch für die Polizei erpreßbar für diverse Aussagen werden sollte.

Hier im Zodiak begann es, setzte sich fort im Mr. G o unter den Yorckbrücken und im Unergründlichen Obdach für Reisende am Fasanenplatz, bis es in der Teestube in der Xantener Straße und im Park am oberen Ku-Damm verebbte. Die Freaks versteckten sich nicht mehr, sie rauchten ihren Shit in aller Öffentlichkeit. Ihre Moral war einfach:

Vorhandene Bedürfnisse müssen ausgelebt werden, egal was die Gesellschaft oder ihre Gesetze dazu sagen. In diesem Klima wuchs der Gedanke der offensiven Verteidigung. Was lag auch näher, als sich gegen Razzien mit Klamotten zu wehren? Die Situation erforderte geradezu ihren publizistischen und organisatorischen Ausdruck. So gesehen war der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen fast so etwas wie eine historische Notwendigkeit.

Die Szene politisierte sich. Sie organisierte öffentliche Smoke-ins im Tiergarten, beteiligte sich an einer Vietnam-Demo (die alten SDS-Kader, die inzwischen dabei waren, diverse »proletarische« Parteien zu gründen, wunderten sich, wo plötzlich so viele Freaks herkamen) und verbreiteten ihre Parolen über die »883« (so etwas wie Zitty, TAZ und Radikal in einem). Ihren absoluten Höhepunkt erreichte diese Bewegung im Mai 1970, als die Amis auch Kambodscha überfielen. Der Blues aus dem Zodiac bestimmte qua 883 die Protestformen: Die TU wurde zum Bollwerk gegen die Bullen proklamiert, von wo aus das Amerika-Haus angegriffen werden sollte. Die Schlacht tobte stundenlang, drei Polizeipferde mußten wegen gebrochener Beine erschossen werden, Hunderte Demonstranten wurden eingelocht.

III. The Winter's Coming On

»We had some good times

but they're gone

the winter 's coming on«, sang Jim Morrison. Wie Rudi Dutschke starb auch er in der Badewanne, Pamela

nebenan im Bett, wie auch Gretchen, ahnungslos. Rudi starb an den Spätfolgen des auf ihn verübten Attentats, Jim

vermutlich an den Folgen zu starken Alkohol- und Kokaingenusses. Die beiden so unterschiedlichen Protagonisten des antiautoritären Protests starben beide fern der Heimat, der eine in Aarhus, der andere in Paris. Jim wurde im Juli 1971 auf dem Friedhof Pere Lachaise nur im Beisein von fünf Freunden beerdigt.

Am 4. Dezember 1971 ging ein anderes Kapitel des Antiautoritarismus zu Ende. Georg von Rauch, Bommi und zwei weitere »Blues«-Typen tappten in eine Bullenfalle. Georg wurde von einer Kugel direkt zwischen die Augen getroffen, die anderen drei konnten entwischen. Am 2.3.72 wurde in Augsburg Tommy Weisbecker, der unbewaffnet war, aus drei Metern Entfernung von Bullen erschossen.

Zu dieser Entwicklung trug ein saublödes Ereignis entscheidend bei: Zwei Brandbomben aus Urbachs oder anderen Beständen wurden bei Bär und Berni unterm Bett gefunden. Über Nacht waren die beiden zu Top-Terroristen in den Medien avanciert, obwohl sie eigentlich mit der Politik überhaupt nichts am Hut hatten. Die beiden konnten sich bei Zodiac-»Bräuten« wie selbstverständlich verstecken. Sie hegten die nicht unbegründete Hoffnung auf friedliche Klärung des Sachverhalts, zumal ein berühmter Anwalt eingeschaltet wurde. Doch daraus wurde nichts. Bommi und Georg nahmen sich der Sache an. Nach ihrem Bruch in der Wielandkommune hatten sie sich im Dunstkreis der »umherschweifenden Rebellenhaufen« wieder versöhnt. In der richtigen Erkenntnis, daß erst die Medien Berni und Bär zu »Terroristen« gemacht hatten, wollten sie ein Exempel statuieren. Den reißerischsten Artikel hatte die Illustrierte »Quick« verzapft. Obwohl der Artikel namentlich nicht gezeichnet war, konnten die beiden an nehmen, daß ihn Horst Rieck geschrieben hatte, ein Journalist, der sich zuvor zu den Zielen des SDS bekannt hatte und im SDS ein- und ausgegangen war, jetzt aber bei der »Quick« unter Vertrag stand. Die geplante Strafaktion ging jedoch schief, alle vier Beteiligten wurden in Riecks Wohnung festgenommen.

Bommi mußte 18 Monate absitzen. Georg kam durch einen grandiosen Coup erstmal wieder frei. Während der Gerichtsverhandlung tauschte er mit dem freigelassenen Tommy Weisbecker die Plätze und konnte ungehindert den Gerichtssaal verlassen. Die Ordnungshüter hielten Tommy für Georg und wollten ihn einlochen, mußten ihn aber freilassen, als sich Tommy zu erkennen gab.

Der Untergrund begann sich durch derartige Ereignisse aufzufüllen. Aber wie sollten die Abgetauchten dort leben? Spenden flössen allzu spärlich. Geldbeschaffungsaktionen wurden so fast zur Notwendigkeit, damit offenbar auch die Bewaffnung. Einige liefen über zur »marxistisch-leninistischen« Konkurrenz, zur RAF. Die anderen blieben sich selbst treu und versuchten auch im Untergrund ihren Antiautoritarismus aufrechtzuerhalten. Mit geringem Erfolg allerdings, wie Bommi es eindringlich beschrieben hat. Die Kritik der Waffen hat eben ihre eigenen Gesetze, nicht in jedem Fall ist sie der Waffe der Kritik überlegen. Die Niederlage begann mit der Abwendung vom Blues, der mit den Worten Jim Morrisons die Richtung wies:

They got the guns But we got the numbers Gonnawin, yeah
We're takin' over Come on!


Elefanten Press - 1984 - ISBN: 3-88520-060-0