Die Erschießung des Georg von Rauch

Ausschnitte aus dem Buch

Warum:
Der Tote schuldig ist,
der Todesschütze freigesprochen,
der Kritiker verurteilt wird.

Am 4.12.1971 wurde Georg von Rauch in der Eisenacher Straße in Berlin im Rahmen einer "Großfahndung" von einem Polizisten erschossen. Georg von Rauch hat nicht geschossen. Ein Gerichtsverfahren gegen den Polizisten fand nicht statt.

1973 erwirkte der Berliner Polizeipräsident einen Strafbefehl gegen Klaus Wagenbach, weil in einem der Bücher des Verlages zu lesen war, Georg von Rauch (und auch Benno Ohnesorg) seien "ermordet" worden. Im ersten Verfahren wurde Klaus Wagenbach freigesprochen, in der von Polizeipräsident und Staatsanwaltschaft angestrengten Berufung 1975 verurteilt. Die EHRE der Berliner Polizei ist wiederhergestellt. Ob es allerdings der Berliner Polizei zur EHRE gereicht, daß auf ihren Antrag hin als einziger in Sachen der von ihr erschossenen Benno Ohnesorg und Georg von Rauch einer der Kritiker der Schüsse verurteilt wurde, steht dahin.

Die politische Entwicklung freilich ist deutlich: Als am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschossen wurde, wurde der Todesschütze zwar freigesprochen, aber er mußte sich in zwei Gerichtsverfahren verantworten, wurde später entlassen und auch der Polizeipräsident dankte ab. 1971 war das schon anders - der Schütze wurde gar nicht mehr angeklagt, der Polizeipräsidentenstuhl wackelte nur ein wenig (allerdings offenbar genug, um künftig jedes Rütteln als "Ehrverletzung" anzusehen), aber auch seinerseits mußte eine liberale Öffentlichkeit noch beruhigt werden mit höchst zweifelhaften "schußgutachten" und nachgestellten Filmen vom "Tathergang". 1975 schließlich reichen dann solche lückenhaften Unterlagen bereits aus, die liberale Öffentlichkeit (daß es sich um einen "linken Verleger" handelt, ist ein mehr taktisches Alibi) per Gerichtsurteil zum Schweigen zu bringen. Insofern ist dieser Prozess (das belegen auch Dauer und Aufwand) ein Musterprozeß. 1975 ist auch das Jahr, da in der Bundesrepublik Deutschland Spezialgesetze für einen Spezialprozeß erlassen wurden, da öffentlich über die "freigabe des (polizeilichen) Todesschusses" diskutiert und ein Gesetz vorgelegt wird, das Zensur fordert, aber "Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens" heißt.

Personenbeschreibung:

Benno Ohnesorg (Student)
erschossen am 2. Juni 1967 während der Anti-Schah Demonstration von dem freigesprochenen Todeschützen Kurras.

Georg von Rauch ("Anarchist")
erschossen am 4.12.1971 während einer BaaderMeinhof-Großjagd mit dem Stichwort "Trabrennen". Als einziger seiner Freunde Baumann, Brockmann und Knoll, die mit ihm am 4.12. in der Eisenacherstraße waren, kam er Tage vor seiner Erschießung auf die BM-Fahndungsliste. Nachweislich war GvR nicht zugehörig zur Baader-Meinhof-Gruppe.

Michael Baumann ("Anarchist")
Im Untergrund. Gibt Interviews ("Spiegel") und veröffentlicht Momoiren. (hat auch ausgepackt und verraten)

Werner Brockmann ("Anarchist")
Seit 1973 im Gefängnis. Machte umfangreiche Aussagen.

Knoll ("Anarchist")
lebt ebenfalls im Untergrund

Thomas Weisbecker ("Anarchist")
erschossen am 2.3.1972 in Augsburg nach wochenlanger Observation des Landeskriminalamtes, dem sein damals ständiger Aufenthaltsort bekannt war.

Lebenslauf Georg von Rauch

1947 in Marburg geboren. Mutter Hausfrau, Vater Professor der Philosophie, Brüder Lehrer und Ingenieuer

1966 Heirat mit Illo, Malerin. Studium der Soziologie und der Philosophie in Kiel

1967 Geburt der Tochter Yasmin. Die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg (2. Juni) war mitauslösend für den Entschluß, nach Berlin zu gehen

1968 Vietnam Konkreß. Attentat auf Rudi Dutschke, als einschneidendes Erlebnis. Beteiligung an vielen Demonstrationen. Mitarbeit an der von der Linken gegründeten Gegen-Universität in Berlin ("Kritische Universität"). Auseinandersetzung mit der Geschichte des Anarchismus (Bakunin-Raubdruck). Leben in Wohngemeinschaft: Kinderladen-Initiative.

1969 Die "umherschweifenden Hasch-Rebellen" - eine provokative Gegengruppe zu den als dogmatisch abgelehnten ML-Parteiansätzen. "Knastcamp" in Ebrach (Solidaritätswoche mit politischen Gefangenen). Reisen mit Thomas Weisbecker.

1970 Verhaftung in Berlin (6.2.), mit Thomas Weisbecker. Anklage: "Nötigung, Körperverletzung, versuchter schwerer Raub." Anlaß: Rauch, Weisbecker und andere hatten einen Journalisten verprügelt, als "exemplarische Strafaktion" gegen einen Hetztext in der Illustrierten "Quick".

1971 Prozeß, nach 14 Monaten Untersuchungshaft, gegen Georg von Rauch und Thomas Weisbecker. Am 9.7. Verurteilung von Georg von Rauch. Freispruch von Thomas Weisbecker. "Verwechslungs-go-out": Georg von Rauch verläßt an Stelle von Thomas Weisbecker den Moabiter Gerichtssaal und muß seitdem im Untergrund leben.

Am 4.12. in der Eisenacher Straße erschossen.

Aus der Quick von 11.2.1970:

Die Berliner zittern. Höllenmaschinen explodieren in Kaufhäusern, Wohnungen, Ämtern. Eine Terrorwelle soll die Stadt sturmreif machen für die Revolution. Die Bombenleger sind junge Wirrköpfe die sich mit Haschisch aufputschen. Ihr Gott ist die Gewalt. Ihr Ziel Anarchie und Chaos.

Quick vom 25.2.70:
Due Wahnsinnigen von Berlin laufen Amok. Der brutale und sinnlose Überfall auf Horst Rieck ist der letzte Beweis.
Die "Tupamaros" - zehn oder zwanzig rauschgiftsüchtige Bombenleger - haben Ihr Ziel erreicht, sie haben eine Millionenstadt verunsichert. Wer heute in Berlin etwas gegen die Terroristen zu sagen wagt, der muß mit dem Schlimmsten rechnen. QUICK aber wird weiter die Wahrheit sagen, auch wenn sie den Hasch-Rebellen nicht paßt.

Aus einem Brief an die Tochter aus dem Knast:
"... mich haben sie ins Gefängnis gesteckt ... sie wollen, daß wir aufhören, davon zu reden, daß die Welt viel schöner sein kann. Denn wir Menschen sollen nicht gegeneinander sein, sondern wir wollen alle zusammen sein und schöne Sachen machen: Flugzeugfliegen, Autofahren, Lieben, Sprechen, Malen, Musikmachen, Tanzen ..."

von der Rauchhaus Webseite:
Georg von Rauch (* 12. Mai 1947 in Marburg an der Lahn, † 4. Dezember 1971 in Berlin) war ein Berliner Stadtguerillero. Er war als Student Mitglied des SDS, wohnte in der Wielandkommune und agierte im Umfeld des "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen", aus dem später die Bewegung 2. Juni hervorging.

Nach seiner Verhaftung 1970 war er eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft und musste nach der geglückten Flucht aus dem Gerichtssaal im Untergrund leben. Er wurde bei einer Fahndungsaktion in der Eisenacher Strasse in Schöneberg von der Polizei erschossen. Über die genauen Umstände gibt es widersprüchliche Angaben. Das Rauchhaus wurde vier Tage nach seinem Tod besetzt und nach Georg von Rauch benannt.


Wagenbach - 1976 - ISBN: 38031-1000-9

Das ganze Buch als PDF gibt es hier
Tödliche "Terroristenfahndung"