Leisten Sie keinen Widerstand!

aus Dieter Kunzelmanns: Leisten Sie keinen Widerstand

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Am 24. Januar 1969 gab Jimi Hendrix ein Konzert in West-Berlin. Niemand brauchte - wie auf dem Photo Ina Siepmann - am Joint zu ziehen, um high zu sein: Musik und von Hasch und Gras gesättigte Luft reichten völlig aus, um im Sportpalast an der Potsdamer Straße in Berlin andere Sphären zu erreichen. Die deutlich sichtbar lange Aschenglut am Joint geht auf eines der zahlreichen psycho-terroristischen KI-Gesetze zurück: wem die Asche herunterfiel war, dazu verurteilt, den nächsten Joint zu drehen.
Es war ein wahnsinniges Konzert mit einer außergewöhnlichen Kommunikation zwischen Publikum und Hendrix, zwischen Hendrix und Publikumv ... Für uns ging es tatsächlich weiter, denn Ina und Uschi, große Verehrerinnen nicht nur seiner Musik, holten Hendrix im Hotel Kempinski ab und kamen mit ihm in unser Moabiter Kommune Matratzenlager. Beide wollten mit ihm ins Bett, überließen jedoch in feministischer Souveränität dem Angebeteten die freie Wahl. ... Ich war so vollgekifft, daß mich Ina erst danach aufklärte: sie hatten beide die Hoffnung, daß Jimi, durch uns animiert, endlich loslegen würde. Doch alle sexuellen Hilfestellungen halfen nichts, Jimi war die Situation zu fremd. Ein Taxi wurde bestellt, Uschi und Jimi rauschten in sein Hotel, Rainer theoretisierte bis in die Morgenstunden, und irgendwann am späten Morgen tauchte eine strahlende Uschi vor unserer Matratze auf. Dem folgenden stundenlangen Beziehungsgespräch zwischen ihr und Rainer entflohen wir, indem wir mit der S-Bahn zum Schliddern auf dem zugefrorenen Schlachtensee fuhren."

... Die wirkliche Bedeutung der Osterereignisse von 1968 liegt darin, daß in diesen Tagen das Ende der antiautoritären Bewegung eingeläutet wurde. Die Besetzung des Springer-Hochhauses und die Blockade der Auslieferung seiner Hetzblätter mißlang, der für Ostersamstag geplante Sturm auf das Rathaus Schöneberg ebenfalls und der »Besuch« beim SFB (Sender Freies Berlin) kam Ostermontag nicht über seine Planung hinaus. Was war geschehen in diesen fünf Tagen und fünf Nächten des Osterfestes 1968?

Mit unglaublicher Wut, provoziert durch das Attentat auf Rudi Dutschke, stellte die außerparlamentarische Bewegung in ihrer Hochburg Berlin-West die hybride Frage nach der Macht in der geteilten Stadt. Und als sie nach Ostern aufwachte aus dem Rausch der Straßenschlachten, der Diskussionen und des nächtlichen Umherschweifens vor Polizeirevieren und Zehlendorfer Villen, mußte sie ernüchtert feststellen: das Alltagsleben der Stadt nahm seinen gewohnten enervierenden Verlauf, und unter dem aufgerissenen Straßenpflaster fand sich keineswegs der Strand, der eine Ankunft an neuen Ufern verhieß.

In jedem von uns war nach den Schüssen auf Rudi und durch den vergeblichen Ansturm auf ein System, das diese Schüsse möglich gemacht hatte, etwas zerbrochen. Dieses undefinierbare »etwas«, eine Verhärtung im Innersten, eine Unversöhnlichkeit mit stark irrationalen Zügen widersprach den Intentionen einer ganze Lebensbereiche umfassenden spielerisch-hedonistischen Radikalität, mit der die antiautoritäre Bewegung ursprünglich angetreten war. Zwar entstanden die Stadtguerilla und maoistische Parteigründungen erst eineinhalb Jahre später im Herbst 1969, doch ihre Geburtsstunde kündigte sich bereits Ostern 1968 an. Unmittelbar erlebte herrschende Gewaltverhältnisse mit bewaffneter Gegengewalt bekämpfen zu wollen, ist ein ebenso verführerischer Gedanke wie der, einer straff organisierten Staats- und Kapitalgewalt mit einer straff organisierten Kaderpartei entgegentreten zu wollen. Der Trugschlüsse waren so furchtbar viele ...

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Durch den Polit-Tourismus in die K I, der fast den Charakter einer Belagerung annahm, wurden uns die Räumlichkeiten zu eng und wir unterschrieben für den 1. August einen Mietvertrag für ein leerstehendes, sehr heruntergekommenes dreistöckiges Fabrikgebäude in der Stephanstraße 60 in Moabit. Die Renovierung nahm uns in den Sommermonaten völlig in Beschlag. Im Parterre sollte eine Diskothek untergebracht, im 1. Stock Unterkünfte für Gäste eingerichtet werden, und im 2. Stock begann ein anderes, neues Kommuneleben.

Wir lebten auf einem Matratzenlager in der offenen Fabrikhalle. Nur beim Einmarsch der Warschauer Pakt-Armeen in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 und bei der »Schlacht am Tegeler Weg« am 4. November 1968 verließen wir - von Prozeßterminen abgesehen - unser neues Domizil, um an Demonstrationen teilzunehmen. Ansonsten entdeckten wir bewußtseinserweiternde Drogen, besuchten andere Kommunen, machten Streifzüge durch die Beat-Schuppen der Stadt, und statt zu diskutieren, hörten wir nur noch die neuesten englischen und amerikanischen Rock-Platten.

Bis zum Frühjahr 1968 existierten innerhalb der antiautoritären Bewegung verschiedene Revolutionsvorstellungen: Rätesozialismus, anarchistisches Denken, die Idee einer subkulturellen Gegengesellschaft, Kommunen als Focus der Selbstveränderung und Revolutionierung des Alltagslebens. Allein die jeweilige Praxis sollte der Prüfstein für einen gangbaren Weg zur Veränderung der Gesamtgesellschaft sein. Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit, Selbstverwirklichung waren weder hohle Phrasen noch ideologische Versatzstücke. Was Staat, Justiz und Polizei verunsicherte und zu unverhältnismäßig drakonischen Maßnahmen gegen diese kulturrevolutionäre Bewegung veranlaßte (und diese dadurch zeitweise noch prächtiger aufblühen ließ), war die Selbstverständlichkeit, mit der die antiautoritäre Bewegung den öffentlichen Raum, insbesondere in West-Berlin, dem Schaufenster der westlichen Welt, in ihren Besitz nahm. Feste, Happenings, Demonstrationen, Spiele mit der Polizei, Diskussionen, Musik, Liebe - all dies geschah öffentlich, vor den Augen aller und alle konnten sich beteiligen. Besonders der verbal artikulierte und bisweilen handgreifliche Haß des personifizierten Frontstadtgeistes, der sich mit Vokabeln und Beschimpfungen wie »Vergasen«, »Arbeitslager« und »Über die Mauer« gegen uns Luft machte, produzierte derart hitzige Straßendebatten, daß erst die Wasserwerfer der Polizei, vor deren Strahlen bekanntlich alle gleich sind, die Gemüter abkühlen konnten. Daß dann der Autoverkehr Vorrang haben sollte vor öffentlichem Meinungsstreit, konnte außer der Polizei niemand gutheißen. Folglich eskalierte die Situation, die Menschen mußten von der Polizei weggeräumt werden, Polizeikonvois blockierten alle Seitenstraßen, ritualisiertes Chaos breitete sich aus - die Volksbelustigung blieb schier grenzenlos.

Die Unmittelbarkeit der sinnlichen Erfahrungen, ob auf der Straße oder in neuen Lebenszusammenhängen, die Lust im Alltagsleben immer das Unerwartete, das Überraschende, das Provozierende dem Eingeschliffen-Überkommenen vorzuziehen, begeisterte große Teile einer ganzen Generation. Immer war die eigene Initiative gefragt, denn jegliche Organisation, die Hierarchisierung bedeutet hätte, wurde abgelehnt. Erfahrungen mit Polizei und Justiz wurden ausgetauscht, Ängste besprochen und die Probleme des Zusammenlebens in Kommunen oder Wohngemeinschaften beispielhaft vermittelt. Immer stand im Vordergrund, selbst das Wagnis eines anderen Lebens einzugehen, die eigene Energie einzubringen in den Prozeß der in vielen Bereichen als notwendig angesehenen Veränderungen.

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... Welch ein Jahr der Irrungen und Wirrungen, dieses 1969. Alles war in Auflösung begriffen, alle gingen auf Reisen - in sich selbst, zu Gurus nach Indien, nach Italien, wo die Klassenkämpfe und das pralle Leben tobten, zu den nationalen Befreiungsbewegungen in Süd- und Mittelamerika öder nach Palästina. Welch ein Jahr der Windungen und Wendungen, dieses 1969. An einem Tag Haschrebell und Stadtindianer, am nächsten maoistischer Kader und Fabrikarbeiter, an einem Tag Stadtguerilla, am nächsten Juso-Funktionär, Junguntemehmer, Verleger, Kunstkritiker, Theater- oder Filmregisseur. Eindeutig erkennbar war nur die Unübersichtlichkeit, waren Fluchten auf der Suche nach Selbstverwirklichung, Aufbrüche zu neuen Ufern. Und da waren noch die Drogen, keine harmlosen wie Marihuana und Haschisch, gefährliche, lebenszerstörende Drogen.

Vielleicht war alles auch ganz anders, die subjektive Wahrnehmung von Situationen bleibt, trotz gemeinsamen Erlebens, äußerst verschieden. Mein Kopf ist vollgestopft mit Bildern aus diesem 69er Jahr, doch wie soll ich 'sie ordnen können, wenn meine damaligen Begleiter und Begleiterinnen, mit denen ich mich verständigen könnte, längst alle tot sind. Fest steht aber für mich, daß die folgenden Jahre bis zum Deutschen Herbst 1977 im Nebel verbleiben, wenn nicht Klarheit herrscht über dieses Jahr der Großen Konfusion.

Versinnbildlicht das Photo mit dem Augenverband genau diese Symbolik? Halbblind, doch mutig durch die Welt streifend. Es war beileibe keine Verletzung von einer Demonstration, mein Auge, natürlich das linke, war einfach physisch überfordert durch zuviele STP-Trips, ein Amphetamin-Teufelszeug.

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... Dieses Gefühl von Ohnmacht und Ausweglosigkeit drohte auch mich einmal im Gefängnis zu zermürben. Ich saß bereits mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft - am 19. Juli 1970 war ich festgenommen worden - als ich über das Zellenradio eine Meldung hörte, die mich an den Rand des Wahnsinns trieb. Hilflos und allein mußte ich am 4. Dezember 1971 mit der Nachricht fertig werden, daß mein Freund Georg von Rauch in der Eisenacher Straße in Schöneberg von einem Fahndungsbeamten erschossen worden war. Welch glücklicher Umstand, daß ich im Gefängnis eingesperrt war; außerhalb wäre ich in dieser Situation imstande gewesen, aus Wut über den Verlust des Freundes zum Mörder zu werden.

Doch zurück in das Frühjahr 1969, als Rainers Wut über ein paar Wochen Untersuchungshaft sich nicht gegen die hierfür Verantwortlichen, sondern gegen mich richtete. Gegen Legenden anzuschreiben bleibt sinnlos - zu schön klingt die Mär, ein Photomodell mußte kommen, um das Ende der Kommune I zu besiegeln. Doch Gefängnis und später der gemeinsame Opium-Konsum haben zum traurigen Ende der KI sicherlich mehr beigetragen als das wahrlich nicht unattraktive Körperprogramm von Uschi. Außerdem wollte niemand von uns wahrhaben, daß die antiautoritäre Bewegung sich ihrem Ende zuneigte. Sowohl Rainers Vorstellung eines Rock-Pop-Konzerns als auch die meinigen von den umherschweifenden Haschrebellen - beides waren krampfhafte Versuche, die Realität der Auflösung, des Zerfalls, der Trennungen, der Niederlagen zu negieren oder zu verdrängen.

In dieser Situation erreichte uns die Einladung von Fritz Teufel, der seit einem Jahr in München lebte, zu einem Knastcamp ins fränkische Ebrach zu reisen und dafür in Berlin möglichst viele Unterstützer zu mobilisieren. In Ebrach, nah meiner Heimatstadt Bamberg, befindet sich der größte Jugendknast Bayerns, und dort, weit weg von seinen Mitstreitern, mußte ein Münchner Militanter seine Haftstrafe antreten. Nahe dem Gefängnis, das ein früheres Kloster war, sollte ein Zeltlager errichtet und eine symbolische Gefängnisbelagerung stattfinden. Da für viele von uns im Sommer 1969 Gerichtsurteile rechtskräftig wurden - bei mir z.B. neun Monate Gefängnis ohne Bewährung wegen »Störung des Parlamentsfriedens« — und nur noch die Ladungen zum Strafantritt ausstanden, waren wir von der Knastcamp-Idee begeistert. Es war nicht schwer, weitere Berliner APO-Leute für die Mitreise zu gewinnen. Als sich die Berliner Karawane, mit dem von Tommy Weisbecker »organisierten« neuen Ford-Bus des AStA der TU an der Spitze, auf die Transitstrecke nach Hirschberg machte, ahnten wir nicht, welches Polizeiaufgebot uns in Franken erwartete, wußten wir nicht, wo die Reise enden würde - nur weg, schnell weg aus Berlin, wo wir außer Knast nichts mehr zu erwarten hatten ...

Giuseppe de Siati: Il Nonno in Ebrach:
Im Frühsommer 1969 erhielten wir in Rom einen Anruf aus Deutschland, wahrscheinlich von unseren Filmer-Freunden Gerd Conradt oder Holger Meins. Sinngemäß teilte er uns mit, daß in Kürze in der Nähe von Bamberg ein größeres Treffen von Leuten aus der antiautoritären Linken stattfinden werde. Dazu seien wir eingeladen, denn es sei besonders wichtig, daß an dieser Aktion auch ausländische Genossen teilnehmen. Anlaß zu diesem Treffen, dem »Knast-Camp«, war die Forderung nach Freilassung des verurteilten und in Ebrach inhaftierten Studenten und SDS¬Mitglieds Reinhard Wetter.

Einige Tage später erhielten wir auf dem Postweg einen Umschlag, der einige gelbfarbene Flugblätter enthielt, auf denen das Programm für das »Knast-Camp« und die Autoroute nach Ebrach verzeichnet waren.

Als bewußte Internationalisten hängten wir einen Teil der Flugblätter an verschiedenen Stellen der Universität Rom auf, ja, wir übersetzten sogar den Flugblattext, vervielfältigten ihn und forderten dazu auf, nach Ebrach zu reisen.

Die Einladung zum »Knast-Camp« nahmen wir gerne an, zumal wir, die »Uccelli«, für den Sommer des gleichen Jahres eine Expedition in das 1968 von einem Erdbeben heimgesuchte Gebiet bei Gibellina auf der Insel Sizilien in Planung hatten. Die Begegnung in Ebrach schien uns deshalb so interessant zu sein, weil wir bereits vor der Einladung beschlossen hatten, an unserer Expedition möglichst auch junge Deutsche teilnehmen zu lassen. Nicht zuletzt, weil gerade aus diesem Gebiet besonders viele junge Sizilianer als Arbeitsemigranten gen Norden nach Deutschland gezogen waren. Uns faszinierte die Idee von einem Austausch. Warum sollten nicht Deutsche, im Gegenzug der Arbeitsemigranten, als Helfer ins Erdbebengebiet fahren?

Also machte sich unsere kleine vierköpfige Delegation in einem Ford-Transit auf den Weg nach Ebrach. Leider konnten wir nicht verhindern, daß einige Freunde in Rom beleidigt reagierten, als wir sie nicht nach Deutschland mitnahmen.

In Ebrach angekommen, entdeckten wir bald einige alte Bekannte, u.a. die beiden Mitglieder der K I, Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, dem wir sofort den Spitznamen »Il Nonno« (Großvater) verpaßten. Unter den Teilnehmerinnen stach besonders ein Mädchen namens Inga ins Auge, die junge, schöne, später sehr mutige Irmgard Möller.
Zunächst hatten wir Schwierigkeiten, unsere Sizilienexpedition den deutschen Teilnehmern in Ebrach zu vermitteln. Ihre Verhaltensweisen waren uns reichlich fremd, besonders der sehr starke Haschisch-Konsum und die öffentlichen Liebesspiele. Ihre Verhaltensweisen glichen eher denen der Hippies bei Rock-Konzerten als denen von politischen Aktivisten. Wir entdeckten aber auch Widersprüche zwischen den Teilnehmern.

Bald beschlossen wir, eigene Aktivitäten zu entwickeln. Uns schien es wichtig, zumindest einen Teil der durch Presse und Politik aufgehetzten Bevölkerung zu neutralisieren und für das Anliegen zu sensibilisieren. Also kauften wir Farb-Spraydosen, Kartons, Rasierklingen, bunte Kreiden und sogar ein Schaf. Wir realisierten u.a. auf einem Bürgersteig ein großes Bild im Stile der Pflastermalerei, was den »Großen Vorsitzenden Mao« im Gespräch mit Reinhard Wetter zeigte. Leider hatten wir nicht mit der Brutalität, der Humorlosigkeit und der Kunstfeindlichkeit der deutschen Polizisten gerechnet. Denn bald wurde unser Kunstwerk von mit Wassereimern und Schrubbern bewaffneten Polizisten zerstört. ...

Giuseppe de Siati

aus Dieter Kunzelmanns: Leisten Sie keinen Widerstand