He du da und du auch und du ...

(special thanx to Wolle McDope, dessen sachspende meinen träumen flügel verpaßte - see you in Werl these years)

Ein tierisches gelächter weckte mich - das war ich selber. Junge, junge, was für ein traum! Sowas kann dir auch nur im knast einfallen, dachte ich grinsend und machte die augen wieder zu, um eine fortsetzung zu versuchen.

Ich ging eine ziemlich belebte straße entlang und suchte den zoo, tatsache. Während ich noch überlegte, warum ich unbedingt in den zoo wollte, stieß ich auf einen unserer uniformierten freunde und helfer. Der muß das wissen, dachte ich.

"Tschuldige, weißt du, wie ich von hier aus zum zoo komme?"

"Sicher, antwortete er und drehte sich zu mir herum (er war gerade dabeigewesen, einen "Atomkraft? Nein Danke!"-aufkleber, von der tür einer telefonzelle zu kratzen). "Der 17er hier anner ecke fährt direkt dorthin. Allerdings ist das gut ne halbe stunde weg und in einer stunde wird der zoo schon wieder geschl ..." Er unterbrach sich, starrte erst auf meine langen haare und warf dann ein mißtrauisches auge auf das mundstück der blockflöte, das aus meiner jackentasche lugte.

"Seit wann duzen wir uns denn, freundchen?" sagte er schließlich mit drohendem unterton. Und erregter: "Das ist beamtenbeleidigung! Machen sie, daß sie weiterkommen! ... anpöbeln lassen, ... gibtsn sowas ... zoo! ... zoo?"

"Mist, schließt bald. Lohnt sich ja nicht mehr. Naja, kann man nix machen", murmelte ich mehr für mich selbst und ging langsam weiter, die empörten blicke des bullen in meinem rücken spürend.

Nur ein paar meter weiter, traf ich den boß der werkstatt, in der ich arbeitete.

"Ah, sieh an! Der herr fürchtegott - und putzmunter!" begrüßte er mich lautstark, um gleich darauf zu zischen: "Ich denke sie haben fieber, liegen im bett, sind schwerkrank! Und am anderen ende der stadt wohnen sie doch!" Und noch schärfer, kaum noch verständlich: "... eine erklärung! Wie erklären sie sich das, hä?"

Ich hatte es immer gewußt, er war eine ratte. Aber gut: "Tatsächlich! So eine überraschung", sagte ich und lächelte. "Paß auf, ich lade dich jetzt zu einer tasse kaffee ein, und dann erkläre ich dir alles in aller ruhe, gebongt?"

Sein unterkiefer ging einmal runter und einmal rauf. Er begann zu zittern und wurde blaurot im gesicht - wirklich, kein schöner anblick.

Das dachten wohl auch einige leute, die ihre schritte verlangsamten und von denen einige sogar stehen blieben. Dabei gab es bis auf das dunkellila gesicht meines bosses gar nichts besonderes zu sehen.

Plötzlich schrie er. Ich verstand kein wort, die anderen leute wohl auch nicht. Nur "wass" und "urrrgghh! und himiarrr" und sowas.

Mehr leute blieben stehen und bildeten schon einen kleinen kreis um uns. Ein busfahrer und/oder - schaffnet schob sich näher und fragte mich scheinheilig neugierig, während er seine aktentasche quer vor der brust hielt: "Ham sie was mit dem herrn hier? Was wollen sie denn von ihm?" "Wer? ich? Nix, er will was von mir. Er is mein boss, und stell dir vor, ich will ihn zu einer tasse kaffee einladen, ganz freundlich und so, verstehst du? und er..."

Der aufkleberkratzende bulle drängte sich durch die umstehenden und direkt auf mich zu.

"So! Schon wieder!" bellt er und baute sich als vierter in unserer runde zwischen mich und meinen chef auf, der inzwischen wieder die farbe gewechselt hatte (weiß mit roten flecken). "Belästigen sie schon wieder die leute, was?"

Mein boß (mein ex-boß, vermutete ich) ergriff das wort, bevor ich etwas sagen konnte: "Dieser unverschämte kerl (keuch!) DUZT mich! Mich - seinen brotherrn!"

Brötchen, dachte ich, und von wegen "herr". Der busfahrer und/oder - schaffner:

"Mich auch! Mich auch! Unverschämtheit!"

"Kein benehmen, gesindel!" murmelte eine aufgeputzte alte aus der größer werdenden menge um uns herum.

Der bulle funkelte mich tückisch an. "Auch mich", wandte er sich an meinen boß (ex-boß, darüber war ich mir jetzt ziemlich sicher), "hat er frech geduzt! Wie seinesgleich!" Wobei er grimmig triumphierend in die runde blickte, als ob das duzen seiner person viel frecher und ungleich viel schlimmer als das den anderen gegenüber gewesen wäre.

In der menge begann es zu brodeln. Der kreis wurde dichter udn die ungeheure empörung über mich fühlbar.

Der bulle bellte; der mann, der früher mein chef gewesen war, keuchte; der busfahrer und/oder - schaffner knetete seine aktentasche; die aufgeputzte alte zichte. Haß und mordlust lagen in der luft. Abgrundtiefe abscheu war noch das harmloseste. Regenschirme, zeitungen und pralle einkaufstüten wurden in stellung gebracht. Das drohende gemurmel schwoll an. Tödliche blicke wurden auf mich abgeschossen.

Bakunin, steh mir bei! dachte ich verzweifelt. Sie werden dich zu boden werfen und auf dir herumtrampeln. Sie werden dir die Haare ausrupfen. Sie werden dich lynchen, in der Luft zerreißen - und alles nur, weil ich die leute geduzt habe! Wie brüder anredete.
Geduzt habe?

Dann glotzte wohl einer durch den spion in der zellentür (was alle stunde passiert) und mein unterbewußtsein zog sich kurz wie ein regenwurm zusammen und streckte sich wieder.

als der traum weiterging (oder war ich wach geworden und träumte nur, daß der traum weiterging?) hatte die szene gewechselt und ich saß mit euch allen zusammen, irgendwo, es war gemütlich. Ich erzählte von meinem traum und alle lachten. Thea gab mir den joint und sagte, während sie den rauch nach oben blies: "Stell dir mal vor, und nur, weil die Leute geduzt werden, wie die ausflippen wegen sowas."

"Det 'sie' is wie eine barriere zwischen den leuten", sinnierte Manne und zupfte an seiner klampfe herum.

"Tatsache!" sagte Enno ein bißchen mystisch, "die sprache steht zwischen den leuten"

"Da fängt alles an, die entfremdung und so", sponn Susan den faden weiter. Motzi, die nicht mitrauchte, sagte, mißbilligende blicke auf mich wegen des joints werfend: "Besonders in diesem land. Im englischen z.b. sind die übergänge fliessend - trotzdem, es gibt die unterschiede. Aber in Schweden z.b. sagt kaum noch jemand 'sie', obwohl es da auch wie im deutschen beide formen gibt und das auch mal richtig getrennt war."

"Bei Teutates!" platzte Fritz heraus, "mir gegen auf einmal steinalte sachen wie nagelneue seifensieder auf ..."

"Was da für herrschaftsstrukturen dahinterstecken", fuhr Pedda fort (naja, murmelte Fritz).

"Es ist aber so", mischte ich mich wieder ein, nachdem ich den joint weitergegeben hatte, "wieviel scheinbare sicherheit das den leuten gibt, wenn sie sich hinter dem "sie" verschanzen können. Und - äh - was wollte ich gleich nochmal sagen? - Jetzt ist mir der faden gerissen." (Susan lachte, schluckte rauch und mußte husten; Motzi war mir na-siehste-blicke zu).

"Nee, tatsache", - das war Eb . "das 'sie' steht zwischen den leuten, unsicherheiten wern damit überdeckt und künstliche abstände geschaffen." "Die Deutschen sowieso", brummelte Bär.

Gerd, der nachdenklich an einer bierflasche nuckelte, grübelte laut weiter: "Dat 'sie' schafft von vorneherein ne künstliche, entfremdete atmosphäre. Irgendwie auch kalt."

"Und beim 'du' isses genau umgekehrt", sagte Petra, "is gleich alles vertrauter und auch irgendwie menschlicher, wärmer, irgendwie."

"Irgendwie", grummelte Ronny, der einen kater hatte.

Doris hakte ein und spann den faden weiter: "Klar, die proleten duzen sich viel öfter und spontaner, da regt sich kaum einer auf, wenns nicht gerade mitn bullen zu tun hat."

"bullen sind auch proleten ..." warf Gerald ein, "... aber bei denen gehört das doch zum immitsch, zur bewahrung ihrer identität, mann", stieg christel darauf ein, "genauso wie ein boss oder general oder richter das braucht." Ich hatte meinen faden wiedergefunden und sagte: "Wenn du heute einen bullen, chef, richter oder general duzt, ist das ein ungeheures verbrechen, das bestraft wird. Kommt ja auch nicht oft vor und is ehm auch auch unüblich. Aber wenn wir das ALLE einfach machen würden ... Trotzdem! ..."

"Man sollte eine Kampagne machen," sagte Detlef und grinste. "Ne, echt, mann, klar."

"Sicher, mal ernst beiseite", sagte Holger schnell, guckte in die Runde und lachte ein wenig fragend.

"Das isses", murmelte ich.

"Wirklich, um wie viel freundlicher das gleich alles wäre, ich meine die beziehungen zwischen den menschen, viel lockerer", sagte Gudrun und lächelte zum erstenmal an diesem abend.

"... echt anarchistisch ... richtig ...", murmelte Ralf mehr zu sich selbst. Ulrike sagte plötzlich ziemlich ernst: "Leute, das ist wirklich eine politische sache. Politik im mikrokosmos."

"Ja", fuhr Thomas fort, "aufknacken von herrschaftsstrukturen - das ist in der tat politik auf unserer ebene. Und ins konzept passend, weil ehrlich ..."

"... denn", sagte ich, diesen faden verfolgend, "wir werden uns nicht untreu, machen nich irgendwas abstraktes (irgendwas, irgendwo, irgendwie, junge, junge, brummte ronny im hintergrund), sondern wir verweigern uns konkret - und das ist ja wohl das wesentliche! Die totale verweigerung den Zombies und ihrer kacke gegenüber - und doch machen wir politik. Wir verstoßen gegen geltende und damit herrschende regeln, die nur zu unserer unterdrückung da sind, und agieren somit gegen den seelenkolonismus (ächz), und auf der anderen seite ..."

"... kommen wir uns als menschen näher, d.h. wir nähern uns anderen, 'fremden' leuten", fuhr Wally fort, als mir auch dieser Faden zu entgleiten drohte (das is das kiffen auf nüchternen magen, echt). "Wenn wir jetzt alle ab morgen alls und jeden duzen", meinte Heinz, "kann es passieren, daß wir ärger kriegen. Im ernst. Da gabs doch diese marktfrau in München, Gundula oder so - war das in München? egal - die hat tatsächlich n paar beleidigungsklagen annen hals gekricht, weil sie hartnäckig einen bullen duzte. Klatzsch! eine anzeige nach der anderen."

"mußte sogar löhnen", ward Dany ein.

"Unter zähneknirschen bestimmt; und weil die alleine dastand", meinte Markus und warf Dany, dem er gerade nicht grün war, einen scheelen blick zu.

Manne zupfte ein paar akkorde, und als ihn alle ansahen, deklamiert er: "Wir werden eine duz-kampagne machen! Wirklich, klar, provozieren und so - aber immer erklären, den leuten. Sagen, was sache is. Daß niemand nicht beleidigen will - is ja auch gar keine beleidigung - sondern daß wir damit einen beitrag zur allgemeinen enteisung leisten wollen (grins)". "Und Gundula wird unser maskottchen!" rief Günter, von Edith durch einen rippenstoß unterbrochen, "von wegen maskottchen!" "Unsere geistige führerin", lachte Jürgen.

"Ja! Die Vera Sassulitsch der Duz-bewegung, unsere vorkämpferin und harter kern", prustete Andy los. "Mensch, wie kuhl dit wär", sagte Karin nachdenklich, "gehste zu deim laden anner ecke und redest mit allen leuten da wie mit kumpels. Und auch aufer straße und überall".

"Und immer den leuten erklären, warum und so, und immer ganz freundlich", fuhr Rosi fort. "Sollte man auch flugblätter machen?" sagte Sissi fragend, "jedenfalls ein bißchen, mmhh?" "Logo!" antwortete Detlef für alle.

"Es wird sicher auch ärger geben", meinte Klaus, "so, wie die Gundula auch äger hatte. Wir müßten da irgendwie darauf vorbereitet sein." "Vielleicht ein sonderkonto für spenden wegen der geldstrafen?" fragte Thea.

"Klar, und nach den ersten tausend prozessen und den ersten zehntausend selbstanzeigen ham die sowieso den kanal voll. Zumal wir ja auch immer schön erklären, vor gericht und so, daß wir das ja gar nicht böse meinen (he he), sondern etwas gegen die entfremdung tun, einen beitrag zur vermenschlichung der gesellschaft leisten wollen", antwortete Irmi (hört, hört).

Bernie, der gerade eine neue platte aufgelegt hatte (I'm a Voodoo child), erhob einwände: "Is das nicht wieder son luftballon, auf dem früher oder später wieder die luft raus is, und lenkt das nicht von anderen, wichtigen sachen ab? (Gemurmel; Jimmy: Voooooooooodooo child).

"Nö, wieso denn", ergriff Astrid, die bisher geschwiegen hatte, das wort. "Das mit dem duzen is doch ne sache, die ständig läuft, immer und überall". (fährt ab - gutes dope). Beim einkaufen, auf der straße, im betrieb, inner uni - immer und überall, quasi nur nebenbei und dann doch wieder nich."

Ich hatte wieder einen faden gefunden und sagte: "Dann müssen wir das aber auch richtich machen - eh - ich meine, artikel in allen zeitungen, überall, flugblätter und so. Und dicke öffentlichkeit für die erste gerichtsverhandlungen von wegen duzen als beleidigung."

"Mann, ja!" stieg Wolle ein, "stellt euch mal vor, vierzichtausend oder hunderttausend freaks, flipper, tanten und typen duzen überall rum. Jeden und jede. Und immer nett und erklären und alles. Dann kommen auch andere sachen - so anti-AKW-geschichten und knastkampagnen oder was, das läuft ja nebenbei, das duzen, bei allen sachen - das kommt dann alles ganz anders an, viel besser. Wenn du die leute z.b. beim flugblattverteilen auf der straße duzt, ganz freundlich ..."

"Is gleich ne ganz andere scene", pflichtete ihm Herbert bei. "Und mit dem anfänglichen ärger kommen wir schon irgendwie klar", rief Matthias begeistert. "Eigentlich hört sichs ja lächerlich an und völlig unpolitisch" sagte Ina und wurde durch gebrumme und gemurre unterbrochen (nananana, ojojojojojo). "Aber", fuhr sie unbeirrt fort, "tatsache isses eine wirklich politische kiste, genau besehen" (beifälliges gemurmel).

"Politik in erster person", ergänzte Pedda, "und es lenkt überhaupt nich von irgendwas ab, sondern erleichtert nach einer weile sogar unseren umgang mit den leuten, die noch nich durchblicken".

"... und wird lustig gegenüber den Zombies, die bestimmt fürchterlich geflippt werden", fuhr Robert fort. "Und außerdem is das doch in den 'niederen' ständen - wie bei uns eben - sowieso die regel, daß sich die leute duzen. Auch wenn sie sich nicht direkt kennen. In den werkstätten und betrieben und so, und auch im knast."

Au backe, ja, knast, dachte ich. Im umgang mit den einfachen maschores isses ja sowieso gang und gebe, aber die oberbüttel ... und richter erst ... "Aber wenn das überall, im großen UND im kleinen knast läuft", murmelte ich und hörte Ingrid sagen: "... ne bundesweite kampagne. Stichtag 17. Juni - tag der deutschen einheitsanrede (gegröhle, jemand schmiß den plattenspieler um), ab 17. Juni duzt jeder freak, jeder politico, jeder spinner und alle, die verrückt und/oder links sind, alle und jeden. Schlägt die trommeln, verbreitet die frohe kunde. Ab 17. Juni ..."

"Genau", hörte ich mich sagen, "am 17. Juni geht los mit der landesweiten duz-kampagne. Für das brüderlich-schwesterliche DU! Nieder mit dem repressiven 'sie'. Tod der entfremdung wo immer sie lauert!"

Ich mußte auf einmal fürchterlich lachen und überlegte angestrengt, ob ich nun wach war, oder ob ich alles nur träumte. Naja, spätestens am 17. Juni werde ichs wissen, grinste ich vergnügt und drehte mich auf die andere seite, die linke seite.

Knofo

Quelle: Der Blues