Wolfgang Neuss: Aussteigen / Einsteigen

Neue Gemütlichkeit

Vom Rauchen des Hanfseils

Ich rauche
den Strick
an dem ich
hängen könnte.

Aussteigen heißt ja nichts weiter -
ist ja auch wieder 'n Modewort geworden -
Aussteigen heißt ja nichts weiter wie:
Einsteigen.
Einsteigen in was?
Na in sich.
Sich selber suchen.

Es gibt auch gar keine Sucht,
das wollt ich auch mal sagen.
Das mit der Sucht wird heut ja übertrieben.
Süchtig, ah.
Dabei heißt süchtig:
Wenn wir jetzt -
mal abgesehen von Ernst Jandl,
der ja diese Geschichte macht:
ich such dich /
ich such dich /
ich such mich /
süchtig süchtig süchtig
such dich such dich such mich
süchtig süchtig ...
was sonst:
Woher kommt denn sonst so'n starkes ...
natürlich spielt die Gewohnheit 'ne große Rolle.

Wenn ich drei Jahre lang frühstücken geh
jeden Morgen in ein bestimmtes Cafe,
dann tut es mir weh,
wenn ich plötzlich nicht gehe.
Ist klar.
Wenn ich drei Jahre jeden Abend 'n Krimi seh,
tut es mir weh,
wenn ich plötzlich nichts seh.

Dann kommts immer auf den Einzelnen persönlich an,
wie er das macht.
Ist ja Training,
wie er sich das abgewöhnt,
nicht.
'ne Gewöhnungssache
kann 'ne Suchtsache sein,
streit ich nicht ab.
Aber prinzipiell ist das,
was man heute süchtig nennt:
Der Mann sucht sich.
Und der braucht schon wieder Heroin -
ja, der sucht sich,
und mit Heroin findet er sich nie,
aber er nimmt Heroin, ja?
Verstehste das?
Mit Alkohol findet der sich nie.

Der findet sich ja kaum mit Haschisch,
Mancher.
Es gibt Leute,
die finden sich überhaupt nicht.
Weißt du,
warum man nicht so gerne raucht,
wenn man Locken auf'm Kopf hat:
Weil man schon krause Gedanken hat.
Die Haare zeigen das ja schon,
was für Gedanken man hat.
Irre krause Gedanken,
die sich locken,
die sich drehen -
also viel Spekulatives im Gehirn
und im Geist, ja?

Wenn man jetzt'n Tee trinkt,
statt zu rauchen,
kommen aus dem Magen glättende Gefühle,
von dem Tee,
glättende Gefühle,
glättende Gedanken.
Für Leute,
die glatte Haare haben,
wie ich,
ist Rauchen lebenswichtig.

Ohne Rauchen
hätte ich überhaupt keine verrückten Gedanken,
hätt ich gar keine Möglichkeit,
dialektisch zu denken.
Rauchen ist für Leute
mit glatten Haaren lebenswichtig.
Wie Essen und Trinken
ist Rauchen übrigens.
Jetzt kommts natürlich an -
da kommt jede Behörde an und sagt
"Aber Sie werden doch
unseren Leuten nicht
den Krebs in den Körper reden,
wenn Sie hier das Rauchen propagieren!" -
Ich sage immer:
Rauchen ist so wie Essen und Trinken.
Für den Körper lebenswichtig.

Denn der geist -
haben Sie mal beobachtet,
wie jemand nach dem Eisbeinessen 'ne Zigarette raucht?
Mit welcher Wollust?
Oder nach 'm Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit Schlagsahne?
Mit welcher Wollust die Leute dann 'ne Zigarette rauchen -
haben Sies mal gesehen?

Da kann man nicht süchtig zu sagen,
da sagt der Geist:
Der Magen ist eben total befriedigt worden.
Und der Geist sagt:
"Ich will auch Nahrung.
Ich will auch Nahrung."
Es kommt nicht drauf an heute -
das ist weder grün noch alternativ -,
noch daß ich für irgendeine Körnergemeinde hier rede,
sondern:
Man muß tatsächlich doch noch überlegen,
wenn man so lebt in dieser Zeit,
was Essen, Trinken und Rauchen
für den Menschen bedeutet.
Seine ganze Beweglichkeit,
seine ganze geistige Beweglichkeit,
seine körperliche Beweglichkeit ...
sind auf diese drei Sachen gegründet.
Jetzt wird mir einer sagen:
Warum erzählst du uns das,
das ist doch 'ne Binsenweisheit. -
Sag ich:
Ja, aber das Rauchen mein ich dabei.
Ihr denkt ja immer nur,
Essen und Trinken ist wichtig.

Rauchen ist wichtig für den Geist,
für das Träumen.
Jetzt erst mal die Technik des Rauchens:
nämlich dieses Inhalieren, ja?
Einatmen -
eine andere Sache als Luft Einatmen
eine anderer Sache als Luft.
Warum?
Weil dann aus dem Kopf eine andere Sache
als Luft herauskommt,
wenn man einatmet,
eine andere Sache als Luft.

Wolfgang Neuss, 1983