Knofo: Kritiker wurden diffamiert

Die RAF hat eine kritische Debatte über ihre Praxis nie zugelassen. Ein Interview mit Norbert 'Knofo' Kröcher, Gründungsmitglied der Bewegung 2. Juni

Ist der bewaffnete Kampf in Deutschland Geschichte, obwohl immer noch Leute untergetaucht sind und andere im Gefängnis sitzen?

Der bewaffnete Kampf in der BRD ist definitiv Geschichte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es immer noch Gefangene aus dieser Zeit gibt. Eine Geschichte des bewaffneten Kampfes gibt es trotzdem (noch) nicht. Es existieren jedoch unzählige Dokumente, die auf ihre Aufarbeitung warten. Dieser Zeitabschnitt ist nur im Zusammenhang als Stück deutscher Geschichte zu betrachten. Die beteiligten Organisationen und Gruppierungen können nur vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Situation verstanden werden.

Warum gibt es aus dem Kreis der damals Beteiligten so wenige politische Reflexionen, Einschätzungen, Bewertungen, sondern fast ausschließlich Autobiographien, Anekdoten?

Eine Aufarbeitung der Geschichte des bewaffneten Kampfes wurde mehrfach gefordert. Schon nach dem Anschlag auf das Springerhaus in Hamburg 1972, bei dem wegen einer Fehleinschätzung der RAF Arbeiter verletzt wurden, forderten die Linke sowie andere militante Gruppen eine breite Diskussion. Sie wurde von der RAF verweigert. Spätestens nach dem so genannten Deutschen Herbst und dem damit verbundenen beginnenden Zerfall der Linken wurde von uns, der Bewegung 2. Juni, die RAF erneut zur Diskussion gebeten. Die RAF verweigerte sich wieder. Kritiker wurden diffamiert. Maos »Trennungsstrich zwischen uns und dem Feind« wurde von der RAF so dicht am eigenen Fell gezogen, dass automatisch alle anderen zu Feinden wurden. Entweder man fraß die Linie der RAF, oder man verstand die »Dimension des bewaffneten Kampfes« nicht, war ein Weichei oder gar ein Reaktionär.

Als ich nach Stammheim einen Artikel veröffentlichte, in dem ich, nach genauer Analyse des Geschehens, auch auf der Grundlage von Insiderwissen, einen Selbstmord für durchaus möglich hielt, wurde ich von RAF-Gefangenen als »KZ-Scherge« diffamiert. Die geforderte Diskussion mit und in der RAF wurde allerdings nicht nur durch deren fast pseudoreligiösen Wahn selbst verweigert, sondern wurde auch durch eine rigide, das Grundgesetz verarschende Zensur der Gerichte, massiv be- und letztlich auch verhindert.

Zu der angesprochenen Subjektivität lässt sich sagen: Geschichte ist immer auch subjektiv. Damit meine ich natürlich nicht solche verlogenen Machwerke wie das Buch »Staatsfeind« des Stasi-Dreigroschenjungen Till Meyer. Oder solche misslungenen Versuche wie Inge Vietts Buch „Nie war ich furchtloser“.

Und die Bewegung 2. Juni hat nichts aufzuarbeiten?

Natürlich hat die Bewegung 2. Juni auch etliches aufzuarbeiten. Das passiert seit einigen Jahren. Intern und öffentlich. Leider gibt es einige Ehemalige, die nicht mehr miteinander sprechen mögen, wie verzankte Nachbarn. Das ist schade.

Kann man sagen: Aus Angst, der Sicht der Herrschenden auf die RAF zuzuarbeiten, hält man sich mit Selbstkritik und politischer Bewertung zurück – und überlässt gerade deshalb den Herrschenden den Raum für ihre Sicht der Dinge?

Für einige mag das durchaus zutreffen.

Ist für Sie eine politische Aufarbeitung wichtig, oder denken Sie, dass es inzwischen auch egal ist und man sich lieber nach vorne orientieren sollte?

Sie ist unbedingt wichtig, denn es gibt in winzigen Zirkeln der nachgeborenen Linken eine teilweise haarsträubende Diskussion über die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes heute, zum Beispiel in interim (autonome Szenezeitung aus Berlin, die Red.). Und die ist gerade deshalb so haarsträubend, weil es keine politische Aufarbeitung der damaligen Ereignisse gegeben hat.

Kann eine solche Aufarbeitung überhaupt im öffentlichen Raum stattfinden, oder läuft das zwangsläufig auf eine Popularisierung und Verflachung hinaus?

Sie kann eigentlich nur im öffentlichen Raum stattfinden. Zum Beispiel auch durch Arbeitskreise, die aus Veteranen und Nachgeborenen bestehen sollten. Diese Diskussion muss teils öffentlich, teils intern geführt werden.

Sollte eine solche Aufarbeitung von Ehemaligen aus RAF, 2. Juni und vielleicht auch RZ zusammen betrieben werden?

Das sollte sie auf jeden Fall. Aber das scheint unmöglich zu sein, solange die RAF zu einer Diskussion nicht bereit ist. Nur ein Beispiel: Als 1986/87 der Doku-Film »Das Projekt Arthur – die Gewaltfrage 1968« von der Medienwerkstatt Freiburg gedreht wurde, waren zunächst auch zwei Frauen aus der RAF dabei. Die haben nach Fertigstellung des Streifens ihre Autorisierung zurückgezogen. Das wurde natürlich respektiert. Aber der Film konnte schließlich nur als Fragment gezeigt werden. Schade.

Neben anderen politischen Fehleinschätzungen und Fehlern ist die ideologische Verbindung der RAF zum Antisemitismus auffällig. Bis heute hat sich aus der Linken kaum jemand zu dem Anschlag auf den Bus mit jüdischen Auswanderern in Budapest 1991 geäußert. Will oder kann niemand etwas dazu sagen? Soll das etwa so stehen bleiben?

Das soll und darf natürlich nicht so stehen bleiben. Aber ich kenne niemanden aus der x-ten Generation der RAF. Explizit wäre das von den Ehemaligen der RAF zu leisten. Aber die wollen offensichtlich nicht. Für alle anderen bleibt nur, solchen gefährlichen Schwachsinn anzuprangern.

Was sollten junge Linke, die sich heute politisieren, Ihrer Meinung nach unbedingt über die Phase des bewaffneten Kampfes wissen?

Auf jeden Fall sollte jeder junge Linke sich so intensiv wie möglich mit allem vorhandenen Material auseinandersetzen. Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass auch der Dreck, den Stefan Aust und andere dazu abgesondert haben, konsumiert und geglaubt wird. Deshalb sollte die Vermittlung bzw. Aneignung der Geschichte in einem größeren Rahmen stattfinden. Ich habe in den letzten Monaten an drei oder vier Veranstaltungen im Baiz, einer linken Kneipe in Berlin-Prenzlauer Berg, teilgenommen, bei denen es genau darum ging. Und ich war überrascht, auf welch großes Interesse wir damit gestoßen sind. Der Saal platzte jedes Mal förmlich aus allen Nähten. Das waren keine Sachen à la »komm Väterchen, erzähl mal einen Schwank aus dem Krieg«, sondern ernsthafte Versuche, den jungen Linken aus berufenem Mund zu erklären, was eigentlich los war und wie es dazu kam.

Ist Kunst ein Mittel, mit dem man diese Geschichte vermitteln oder aufarbeiten kann?

Im Prinzip darf Kunst fast alles. Aber ich glaube, dass in diesem Fall, also bei dieser RAF-Ausstellung, die da jetzt beginnt, nur Schwachsinn herauskommt. Abgesehen davon ist beispielsweise auch ein Banküberfall ein wirkliches Gesamtkunstwerk. Und den kann man nicht im Museum an die Wand hängen.

Ivo Bozic Interviewt Norbert 'Knofo' Kröcher, 17. April 2003