zum glück geht’s dem juni entgegen

Der “ZUM GLÜCK GEHTS DEM JUNI ENTGEGEN” – Blues
eine “so ein tag, so wunderschön wie heute” -komposition zur bewegung

die eigentliche politisierung kam erst mit der erschießung benno ohnesorgs am 2. juni 1967. nach all den prügeln und schlägen hatten wir das gefühl, daß die bullen auf uns alle geschossen hatten. gegen prügel konntest du dich ja ein stück weit wehren. daß aber einfach jemand abgeknallt wird, ging ein stück weiter.
Der Blues - Gesammelte Texte der Bewegung 2.Juni, Band 1
they can’t take away our music
the blues is going strong:
nur wenn wir sie zwingen
wird uns die vergangenheit
zu uns selber führen

andernfalls
wird sie uns schlucken
in ihrem asyl ohne türen

wir machen geschichte
oder
wir werden von ihr eingemacht.

ich denke, ohne die eigene geschichte zu begreifen, kann niemand etwas neues anfangen, es sei denn, er oder sie schneidet alles hinter sich ab, was ja auch viele gemacht haben.
irgendwer hat einmal gesagt, daß es weniger geistiger anstrengung bedürfe, zu verurteilen, denn zu denken. die weitverbreitete, in unserer gesellschaft vorHERRschende geistige trägheit läßt dies nur allzu wahr werden. anstatt auf den grund einer gegebenen idee zu gehen, ihren ursprung und ihre bedeutung zu prüfen, neigen die meisten viel eher dazu, sie entweder rundweg zu verdammen oder auf irgendwelchen oberflächlichen oder vorurteilsbehafteten definitionen zu bauen.

begann in einer zeit,
in welcher die allgemeine krise schon da war,
aber noch weitgehend verdrängt wurde.
die arbeitslosigkeit nahm zu, ihre explosionsartige ausweitung war für jede, die darüber nachdachte, vorausberechenbar. die zerstörung der umwelt, die kriegsgefahr, die atomwirtschaft – all das war schon da, und es gab einige, die versuchten, sich darauf einzustellen.
viele von diesen gehörten zu jenen, die trotz alledem entschlossen waren, das HERRschende wirtschaftliche und politische system in diesem lande dennoch zu erhalten und zu verteidigen.
ihre reaktion auf das absehbare fortschreiten der krise bestand zu einem erheblichen teil darin, die umfassende unterdrückung all derer vorzubereiten, die sich voraussichtlich gegen diese entwicklung wehren würden. verschärfung der einschlägigen gesetze, ausbau der polizei, bundesgrenzschutz militär und ähnliche repressionen waren ihre mittel.

auf der anderen seite gab es solche, die begannen, den widerstand gegen die planmäßige zerstörung des lebens zu bedenken, zu organisieren und auszuführen. darunter waren einige, die sich auch gedanken darüber machten, wie wohl staat und kapital reagieren würden, wenn dieser widerstand breiter und effektiver werden würde: sie waren sicher, daß staat und und kapital in erster linie auch gewaltsam, bewaffnet reagieren würden – umso gewalttätiger, desto gefährlicher der widerstand für den bestand des HERRschenden systems werden würde. einige sagten damals:
“die bevölkerung mit dem ziel aufzuklären und zu politisieren, massenhaft widerstand zu leisten und die veränderung des systems zu erkämpfen, ohne sie zugleich darauf vorzubereiten, daß es dabei auch zu bewaffneten auseinandersetzungen kommen würde – das sei nicht die vorstellung einer revolution, sondern die vorstellung von einem blutbad – die vorstellung, daß der staat ganz gezielt gegen eine bewegung von unterschiedlichsten menschen gewalt anwendet.”

hier fing im grunde eine neue geschichte an. es war eine zäsur, die für viele bedeutete, daß es so nicht mehr weiter gehen konnte. wir mußten uns überlegen, wie wir dieser neuen gewalt des staates unsere eigene form von widerstand entgegensetzen konnten. die einen haben basisarbeit gemacht, die anderen k-gruppen gegründet. es gab eine breite gewerkschaftsbewegung, die sich nicht in die bestehenden gewerkschaften integrierte, sondern die in den betrieben autonom arbeitete. es war alles in allem ein aufbruch.

familie, schule, fabrik, büro, betrieb, uni, knast, wohnsilo, der ganz gewöhnliche terroristische irrsinn des kapitalistischen alltags, der menschen in aller welt auf die barrikaden brachte und sie dazu trieb, mit neuen formen des zusammenlebens und des kampfes zu experimentieren. der wunsch, selbständig zu leben und nicht anziehpuppe, schräubchen, roboter, manipulierteR konsumidiotIn einer vom profitinteresse gesteuerten gesellschaftlichen als-ob-natur zu sein.
für einige war dies der ausgangspunkt, die politik des an der grenze des legalen sich bewegenden gewaltfreien widerstands zu ergänzen durch die bereitschaft und die fähigkeit, dem staatlichen gewaltmonopol notfalls auch eigene gewalt entgegenzusetzen und zugleich die grenzziehung zwischen legalität und illegalität nicht mehr als allgemein verbindlich, sondern nunmehr als bestandteil des gegnerischen repressionsapparates zu begreifen.
gegen diese ganz besonders richteten sich natürlich die wütendsten und massivsten planungen, aktionen und angriffe der staatlichen behörden. die rasende verteufelung gerade der bewaffneten gruppen diente natürlich auch dem ziel, die widerstandsbewegung insgesamt durch spaltung zu schwächen – nach dem motto: da seht ihr, wie die anfängliche gewaltfreie aktion schließlich im sprengstoffanschlag endet; also distanziert euch rechtzeitig.

daß im übrigen jede bewaffnete, aber auch jede andere gegen den bestand des staates gerichtete aktion als vorwand für weitere aufrüstung des repressionsapparates verwendet, ja eigentlich gerade dafür gebraucht wurde, ist selbstverständlich, ist aber auch nichts neues. hätten widerstandsbewegungen das jemals als argument gegen sich auf dauer gelten lassen, dann würden wir heute noch allenfalls im mittelalter leben.
die staatstragenden bürokratien, allen voran polizei und justiz, funktionieren unverändert im sinne der HERRschenden, der reaktion, des kapitals. und es sind diese staatstragenden bürokratien, die besonders in krisenzeiten terror von staats wegen betreiben.

würden wir uns – mit dem bewußtsein von heute ins jahr ’33 zurückversetzt – soweit organisiert haben, daß wir über 50 mio tote mit und ohne waffengewalt verhindern könnten? oder würden wir wieder getrennt widerstand leisten und wieder getrennt geschlagen werden? bis zu welchem grad würden wir bespitzelungen und unmenschlichkeiten ertragen, bis wir den staat in den müllhaufen der geschichte verfrachten?

ich glaube, es gibt ein doppeltes trauma bei den sozialrevolutionären und kommunistischen arbeiterInnen:
der erste teil des traumas
liegt meiner meinung nach darin begründet, daß sie die frage nicht beantworten können, wieso eine arbeiterInnenklasse oder die fraktion einer arbeiterInnenklasse, die 1932 immerhin über 300.000 mitglieder hatte, so bruchlos und so kompromißlos zerstört werden konnte, ohne daß dabei die letzte form des arbeiterInnenwiderstands in dieser situation, nämlich der bewaffnete kampf, organisiert wurde? um nicht mißverstanden zu werden, es gab einen ganz breiten widerstand der arbeiterInnenbewegung, auch der sozialistischen arbeiterInnenbewegung der jahre ’33/’34. das problem besteht darin, daß sie sich für verteilte flugblätter haben aufhängen lassen und nicht darin, daß sie sich bewaffnet hatten. sehr schade.
dieses problem hat zum zweiten teil des traumas geführt, dazu, daß im sommer ’45, als die möglichkeit bestand, die kontinuität zu durchbrechen, die chance nicht genutzt wurde. und es ist völlig klar: innerhalb weniger monate ist der alte repressionsapparat nicht etwa restauriert worden, sondern er hat einfach weitergemacht. und das ist also das hauptproblem: die mangelnde härte gegenüber dem klassenfeind, der hochorganisiert war, der ein außerordentlich hochentwickeltes system der präventiven konterrevolution in der nazi-diktatur entwickelt hatte.

Versteht, daß der Faschismus da ist und Menschen immer noch sterben, die gerettet werden könnten, daß weitere Generationen sterben oder halb abgeschlachtet dahinvegetieren,
wenn ihr nicht
handelt.

die kontinuität war nicht zu übersehen: nazi-größen in allen zentralen bereichen von staat und gesellschaft
einerseits, aber auch ganz konkret: kpd-verbot oder schon in den 50-er jahren wieder erschossene demonstrantInnen
andererseits; später dann die notstandsgesetze, dann die erschießung von benno ohnesorg.

bennos erschießung hat gezeigt, daß sich der staat nicht darum schert, ob wir bewaffnet oder unbewaffnet sind, wenn wir vernichtet werden sollen, wohlgemerkt bevor der erste schuß einer revolutionären gruppe abgegeben wurde.

“bewegung 2.juni” ist ein politischer begriff
er bezeichnet die alltägliche konkretisierung des aus der jugendrevolte der 60er jahre gewachsenen politischen widerstands. d.h. daß die bewegung von allen verkörpert wird, die versuchten und versuchen, dem alltäglichen kapitalistischen terror widerstand und alternative entgegenzusetzen.
in der revolutionären phantasie ist die bewegung eine subversive kraft, die nach dem 2.juni 1967 entstanden und gewachsen ist. eine kraft, zur veränderung der gesellschaft, die aus einer kapitalistischen ausbeutungs- und entfremdungshölle zu einer sozialistischen gesellschaft freier menschen führt. ohne HERRschaft, ohne zwang.
auch wenn ich heute denke, daß wir viele fehler gemacht haben – unser aufbruch und kampf für eine andere welt war zu jeder zeit begründet und gerechtfertigt. der kampf muß aus dem alltäglichen widerstandsverhalten kommen, nur von dieser alltagssituation aus konkretisiert sich jegliche widerstand. wenn er stattdessen nur den imperialistischen überbau angreift, ohne in den fabriken und stadtteilen verankert zu sein, kann der kapitalistische staat ihn ohne große schwierigkeiten mit seinen polizeitaktischen mitteln einkreisen und vernichten.

wir brauchen nicht nur eine genaue analyse der aktuellen situation, wir brauchen auch die erfahrungen und die erkenntnisse der letzten 25 jahre, weil die für die bestimmung zukünftiger kämpfe wichtig sind und weil es nicht darum gehen kann, daß andere unsere fehler wiederholen, weil wir nicht darüber sprechen.

i feel free – the blues goes on – wir sind alle vom
2. juni

Der Kampf
geht weiter !

oder auch:
eine falsche theorie zieht eine falsche praxis nach sich.
eine falsche praxis bringt die seltsamsten theorien hervor.
kriterium einer theorie ist ihre praxis.
ohne revolutionäre praxis keine revolutionäre theorie.
bzw.:
die welt
und das eigene leben zu verändern,
ist ein und dieselbe handlung.

Der Blues - gesammelte Texte der Bewegung 2.Juni, Band2
textfragmente komponiert von der unnennbar direkten kommunikation aus:

“prozeßerklärung von birgit hogefeld vom 21.7.95″
“der blues” gesammelte texte der bewegung 2.juni
“die glücklichen” schelmenroman von ppz
“zum schmücker-prozeß” vortrag, bremen, 19.9.1986
“projekt arthur” video, medienwerkstatt freiburg
“die bewegung 2.juni” edition idee-archiv
“taz” vom 2.juni 1982
“anarchafeminismus” edition schwarze kirschen
“emma goldman: widerstand”

herbst zweitausendminusvier

veröffentlicht in:
KALENDA 1997 (Vol. 15)
Anarchistischer Taschenkalender