Wiegenlied fürs Enkelchen

Strom, Strom, Strom fließt überall. Alles fließt in Strömen: Zeit, Geld, Blut, Cokackola, Schweiß der Gerechten und zornige Tränen.

Nu kommst du und fragst wozu. Nun paß mal auf, mein lieber Moritz, du bist zwar vor fünf Wochen erst geboritz, aber es kommen Dinge auf dich zu ... hast ja Glück mit Oma und Mutter und noch son paar Leuten zwischen Kreuzberg und Kalkutta. Aber wo strömt das hin? Was ist der Sinn? Nun paß mal auf, mein kleiner Moritz, ik flüster dir jetzt was ins Ohr-Ritz.

"Seelenprüfungen für Erkenntnissuchende."

Gott, das arme Kind! Wer bremst die Oma, wenn sie spinnt? Wer löscht die Oma, wenn sie brennt?

Na irgendwer, die Feuerwehr, die Bundeswehr. Kindergebell und Hundegeschrei und dawzischen mal ne Nachtigall und dann wieder ein Hub schraubender, Wut schnaubender, Glut raubender Einsatz der Polizei.

Nein, das haste nur geträumt. Früher haben Waschmittel und Polizisten noch geschäumt, aber dann wurde die ganze endlos verpackte Plastikkacke aus den Regalen geräumt. Auch prophezeit dies Novalis: "Vorrüber ging der lange Traum der Schmerzen. Sophie ist ewig Priesterin der Herzen."

Ja, aber Moritz mein Bester, auch du bist ein kleener Luftverpester. Wäscht doch die Bewag dein Strampelhöschen mit Wexlstrom aus dem Stexldöschen. Deshalb müssen du und icke die Bewag dazu bewägen, bei der Produktion energischen Stromes, etwas Sümpathie an die Luft zu verschwenden. Ham keene Lust, inner Gruft zu verenden. Fehlt der Filter, fällt der Falter, giftbetäubt zu Boden knallt er. Armer alter Falter.

Müriaden von Inscheniören mit und ohne Diplom leben vom Strom. Noch im letzten oder vorletzten Jahrhundert, hätteste dir doch sehr gewundert, über Glühbirnen und Leuchtäpfel, Radaudios und Staubsaugerilja. Telewischen und Nasenquirle und alle Arten elektrofirlefanzigster industrieller Spottgeburten.

Viele Wege führen nach St. Rom. "Jedoch", so belehrt Rom den Strom der Pilger, "Strom aus der Hölle ist wesentlich bill'ger!" Plutonium macht alle reich, noch reicher als das Öl den Scheich. Strom von unten - zufriedene Kunden!

Könnte ja sein durch Strom von oben, durch Sonne und Wind wird das Spiel der Kräfte in eine segensreiche Sfäre gehoben. Wohin strömt der Mensch? Froh ins Büro? Schick zur Fabrik? Krank zur Bank? Kuhl zum elektrischen Stuhl? Elektrorasierte Gesichter tauchen die Welt in Neonlichter, Elekdrohkonzerne schreiben Elekdrohbriefe: "Nix Atom, nix Arbeitsplatz".

In der beliebten Fernsehrie "Schurnalisten fragen untertänigst, Politiker weisen zurecht" blies Hoheit die Backen auf und gab bekannt, "Atomenergie ist net meine Privatvilla, in der ich wohnen will". Der Vorsitzende der erfolgreichsten Bartei Europas meint, und da kann die Berlinerin aufatmen, "es ist möglich, daß morgen ein Loch sich auftut und die Stadt Hamburg versinkt". Gemeinsam mit dem heißen Zwerg Heisenberg hat Er das Max-Planck-Institut für Strahlen-Forschung angeschoben und viereinhalb Stunden lang ließ Er sich von Spatzenautoritäten Wackers Dorfstandpunkt bestätigen. "Bei uns bestand nie eine ernsthafte Gefahr."

Für die absehbare Zukunft gibts keine Alternative zu Franz Josef Stromausfall. Beruhigenderweise hat er "dafür gesorgt, daß die CSU eine breite Palette junger Talente aufweist". Den Zusammenhang von Kernwaffen und Kernenergie erwähnen wir vorsichtshalber nie. Die Beziehung von Kernenergie und Kernobst ist immer noch so vage daß keener weiß, wie sauer denn der Apfel ist, in den wir gerade beißen. Franzl, gegen die Sowjäzornig kapitalistische, profitorientierte Ausbeutung der Kernkraft wetternd, beruhigt uns: bis fünftausend Becquerel pro Kilo Äpfel, olles sauba!

Moritz, du süßer Knilch, noch schmeckt dir die Milch. Trink doch die Welt aus vollen Brüsten! Wenns uns gelänge, sie abzurüsten oder weil das so schwierig is, sie abzubürsten, rund um den Äquator zu behängen mit Würsten oder vielleicht doch besser mit vegetarischen Leckerein?

Schlafe, mein Moritz, schlaf ein!

in "Aus Teufels Küche, 1988"