Vor einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht!

Ein Dokument aus 1968, nicht vom Blues oder den Haschrebellen, aber einem Zeugen der Zeit

Andreas Baader, Gudrun Enslin, Thorwald Proll, Horst Söhnlein

Geschrieben 1968 von Thorwald Proll, vor Gericht veröffentlicht

Schlußwort im Frankfurter Kaufhausbrandprozeß

Dem Prozeß wegen Anstiftung zur Brandstiftung folgt der Prozeß wegen Brandstiftung. Aber das ist natürlich etwas anderes.

Die Justiz ist die Justiz der herrschenden Klasse; gegenüber einer Justiz, die im Namen der herrschenden Klasse Recht spricht – sprich Unrecht – verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die den Studenten Paar zu Paaren treibt, ihn mit Gesetzen gegen Landfriedensbruch und Aufruhr aus dem Jahre 1870/71 zu 12 Monaten ohne Bewährung verurteilt, verteidigen wir uns nicht (Landfriedensbrecher, steckt diese Landfriedensbruchbude in Brand).

Gegenüber einer Justiz, die Gesetze aus dem Jahr 1870/71 hat und danach Recht spricht – sprich Unrecht –, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die Daniel Cohn-Bendit (der lex Benda die lex Bendit) wegen eines Sprungs über den Staatszaun zu 8 Monaten mit Bewährung verurteilt, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die andererseits die meisten Naziprozesse nur deshalb anstrengt, um ihr eigenes schlechtes und rechtes Gewissen zu beruhigen, indem sie nämlich jenen Leuten den dem Führer geschworenen Eid heute als Verbrechen vorwirft, den sie, die Justiz, selbst 1933 in höchster freudiger Bereitwilligkeit geleistet hat. Gegenüber einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die die kleinen Judenmörder verknackt und die großen Judenmörder laufen läßt, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die 1933 unbeschadet in den Faschismus eingetaucht ist und 1945 ebenso unbeschadet wieder aus ihm aufgetaucht ist, verteidigen wir uns nicht.

Weiter. Gegenüber einer Justiz, die schon in der Weimarer Republik die Linken immer schärfer verurteilt hat (Ernst Niekisch, Ernst Toller) und die Rechten immer milder (Adolf Hitler), die die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit einem Urteil belohnt hat (da hat sie mitgeschossen), können wir uns nicht verteidigen.

Genossen, wir gedenken an dieser Stelle Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts – aufstehen! – das Auge des Gesetzes sitzt im Gericht.

Gegenüber einer Justiz, die ihre autoritären Strukturen nicht abbaut, sondern immer wieder neu aufbaut, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die Recht geht vor Macht sagt und Macht geht vor Recht meint (Macht geht immer rechts), verteidigen wir uns nicht.

Alle Macht der Freiheit!

Gegenüber einer Justiz, die Besitz und Eigentum mehr schützt als den Menschen, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die das Instrument dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die die Gesetze nicht für den Menschen macht, sondern gegen sie, verteidigen wir uns nicht. Menschenrechte nur für rechte Menschen (der von-rechts-Staat). Recht ist, was dem Staate nützt, und das ist immer rechts.

Die einzige strafbare Tat ist der Staat. In einer kapitalistischen Demokratie wie dieser, in einer indirekten Demokratie wie dieser, hat jeder die Möglichkeit über den andern zu herrschen, und dabei soll es auch bleiben, fragt sich nur wie lange noch. Die herrschende Moral ist die bürgerliche Moral und die bürgerliche Moral ist die Unmoral. Die bürgerliche Moral ist und bleibt die Unmoral. Wenn sie sich erneuert, wird sie zur neuen Unmoral (und nichts anderes).

Gegenüber einer Justiz, die die sittlichen Grundlagen des Volkes (was ist das) untergräbt, verteidigen wir uns nicht.
Dieser Staatsanwalt in die Strafanstalt. Er hat 6 Jahre Zuchthaus beantragt. Nochmal: gegenüber einer Justiz, die im Namen des Volkes sagt und im Namen der herrschenden Klasse meint, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die die permanente Reproduktion der bestehenden Verhältnisse betreibt, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, für die die (sogenannte) Verbrecherklasse die Verbrecherklasse ist und bleibt, verteidigen wir uns nicht. Was heißt Resozialisierung? Zurück in welche Gesellschaft, zurück in die kapitalistische Gesellschaft, damit du wieder straffällig werden kannst. Wo doch die bürgerliche, kapitalistische Gesellschaft selbst ein Gefängnis ist, also von Loch zu Loch, so lautet die totale Repression.

Jede Strafrechtsreform reformt nur das bestehende Strafunrecht, denn Strafrecht ist Strafunrecht, denn Strafe ist Unrecht. Ich kann doch nur dann nicht mehr straffällig werden an der Gesellschaft, wenn sie mir keinen Anlaß mehr dazu gibt. Wie soll ich mich, zurückgekehrt in eine unveränderte Gesellschaft, verändern usw. usw. Nicht die Gesetze müssen geändert werden, die Gesellschaft muß geändert werden. Wir wollen eine sozialistische Gesellschaft.

Gegenüber einer Justiz, die einem abstrakten Rechtsbegriff huldigt (Römisches Recht ist Böhmisches Recht) und die nicht den einzelnen als Produkt der Gesellschaft ansieht, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die den Angeklagten als Menschen zweiter Klasse behandelt, verteidigen wir uns nicht.

Noch einmal, gegenüber einer Justiz, die das Instrument der herrschenden Klasse ist, verteidigen wir uns nicht, (und noch einmal) gegenüber einer Justiz, die die Straffälligkeit nicht abbaut sondern immer neu aufbaut (im Schuld- und Sühneverfahren), verteidigen wir uns nicht (Die Wirkung muß ihre Ursache verklagen). In einer autoritären Demokratie wie dieser wird es nie über das Schuld- und Sühneverfahren hinauskommen. Der Richter bestraft den einzelnen und nicht die Gesellschaft und nicht sich selbst.

Wie heißt das Zauberwort? Macht heißt das Zauberwort, und das bedeutet Mord an der Freiheit! Was haben wir zum Beispiel nicht alles Nietzsche zu verdanken, diesem Antisozialisten? Zum Beispiel den Willen zur Macht. Du sollst an die Macht denken und nicht denken wollen, daß die Macht denkt, daß sie anfängt zu denken, um sich dann irgendwann einmal selbst zu entmachten; ergo: Macht die Macht kaputt (die Frage nach der Macht, die Macht der Frage). Gegenüber einer Justiz, die an die Macht will und nicht an die Freiheit, verteidigen wir uns nicht (welche Freiheit meinst du – die bürgerliche Freiheit ist die Unfreiheit, und die sozialistische Freiheit ist weit).

Weiter, noch einmal.

Gegenüber einer Justiz, die die Kommune I zu kriminalisieren versucht und ihr einen Prozeß nach dem anderen macht, verteidigen wir uns nicht. Eine solche Justiz muß angeklagt werden.

Gegenüber einer Justiz, die Teile des SDS zu kriminalisieren versucht, verteidigen wir uns nicht. Wie der Landfrieden von 1870/71 1967/68 gebrochen wurde. Noch einmal: Steckt diese Landfriedensbruchbude in Brand! Noch einmal: Gegenüber einer Justiz, die auf Grund der herrschenden Ansicht (Franz von Liszt schon 1882) Recht spricht – sprich Unrecht –, verteidigen wir uns nicht. Weiter. Gegenüber einer Justiz, die das Verbrechen nicht als soziale Erscheinung und die Strafe nicht als soziale Funktion untersucht (Franz von Liszt), verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, deren Hilfe für den Täter in seiner Bestrafung – sprich Unterdrückung, sprich Repression – besteht, und die so die kapitalistische Gesellschaft schützt, immer weiter schützt, zu Tode schützt, gegenüber einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht.

Zitate aus dem ersten Strafrechtsreformentwurf: “Die bittere Notwendigkeit der Strafe”. “Die Verantwortung trägt der Rechtsbrecher” (und nicht der Sprecher des Rechts), “unvollkommene Wesen, wie sie die Menschen nun einmal sind” (und auch bleiben in einer kapitalistischen Gesellschaft wie dieser, deren antiautoritäre Strukturen an Vollkommenheit nicht ihresgleichen haben und deren moralische Verkommenheit ohne Beispiel ist – es lebe das Schuldprinzip, damit das Strafprinzip nicht sterben muß, damit die Freiheit weiter verreckt und die Macht ja nicht zusammenkracht). – Weiteres Zitat aus dem ersten Strafrechtsreformentwurf (das ist das letzte): “denn daß Strafe Schuld voraussetzt, ist einer der ganz wenigen unbestrittenen Grundsätze des Strafrechts usw. usw.” Wann hört das endlich auf?

Gegenüber einer Justiz, die die irrationale Grundlage des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft auf rechts erhält, die die Realität der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verleugnet, die die Psychologie und die Kriminologie in einer ekelerregenden Weise verleugnet und unterdrückt, die permanent verhindert, daß aus einer Strafrechtswissenschaft eine Wissenschaft von sozialen Verhältnissen wird, gegenüber einer solchen Justiz können wir uns nicht verteidigen. Nochmal: Gegenüber einer Justiz, die im Namen der herrschenden Klasse Recht spricht – sprich Unrecht –, verteidigen wir uns nicht.

Noch einmal: Die bürgerliche Moral ist und bleibt die Unmoral, wird sie erneuert, wird sie zur neuen Unmoral. Alle Reformbestrebungen sind sinnlos, weil sie systemimmanent sind. Wir fordern den Rücktritt des Justizministers Heinemann (auch eine sinnlose Forderung). Wo ist der Richter, der seinen Kram hinschmeißt, der in den Generalstreik tritt, anstatt ewig in dieser Scheiße sitzen zu bleiben? Wo sind die antiautoritären Richter? Ich sehe sie nicht. Noch haben Sie, Herr Zoebe, die Chance, der erste zu sein. Das habe ich geschrieben, da habe ich Sie noch nicht gekannt. Weiter. Wenn Sie das Wort Demokratisierung hören, bekommen Sie Aussatz, das heißt, es setzt bei Ihnen aus. Und bei der Sozialisierung, da kriegen Sie die Pest, das heißt, das gibt Ihnen den Rest. Und es würde Ihnen ja auch den Rest geben.

Nochmal: Den Rest.

Gegenüber einer Justiz, die so autoritäre Richter hat, wie den Richter Schwalbe, verteidigen wir uns nicht (aber eine Schwalbe macht noch keinen autoritären Sommer). Gegenüber einer Justiz, die Richter hat wie den Richter, der in Hamburg am 15. August dieses Jahres einen jungen Arbeiter wegen Landfriedensbruch, begangen an Ostern, zu vier Monaten mit Bewährung verurteilt hat, für den dieses Urteil bereits nach 21/2minütiger Beratung feststand, und der auf die Bemerkung des angeklagten jungen Arbeiters hin, daß er, der Angeklagte, sich darüber – über die kurze Beratungszeit nämlich – sehr wundere, zumal er ausführlich seine politischen Motivationen dargelegt habe, und der diesem jungen Arbeiter zur Antwort gab: Kümmern Sie sich nicht um Dinge, die Sie nichts angehen, gegenüber einer Justiz, die solche Richter hat, verteidigen wir uns nicht.

Noch einmal: Steckt diese Landfriedensbruchbude in Brand.

Gegenüber einer Justiz, die Richter hat wie den Richter im Timo-Rinnelt-Prozeß, der schon wieder nach der germanischen Keule verlangt hat, um dazwischenzuhauen, verteidigen wir uns nicht. Und schließlich: Gegenüber einer Justiz, die Richter hat wie den Richter im Prozeß gegen Jürgen Bartsch, der zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden ist mit der Begründung, daß er sich jederzeit, wenn er gewollt hätte, gegen seinen abartigen Trieb (was ist das) hätte wehren können, und wo der Richter am Schluß gesagt hat: und der Herrgott möge Ihnen helfen, daß auch Sie Ihre Triebe beherrschen lernen – also der Herrgott und nicht die Gesellschaft – und für einen solchen Richter es besser gewesen wäre, er wäre nie geboren worden oder schon lange tot: Gegenüber einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht. – Wenn gesagt wird, dieser Prozeß gegen Jürgen Bartsch sei ein Jahrhundertprozeß gewesen, so war es ein Prozeß gegen dieses Jahrhundert, und das Urteil hat das vorige gesprochen, das heißt, es sprach die Moral des vorigen Jahrhunderts (es wird immer schlimmer), die in diesem Prozeß einen ihrer barbarischsten Triumphe gefeiert hat. Das Publikum, eine Versammlung von Kleinbürgern, hat nach der Urteilsbegründung geklatscht und Bravo gerufen. Das hat niemand verboten, die Gerechtigkeit hat mit den Zähnen geklappert, das hat niemand gehört. Kindesmörder tun gut, sie ermorden das Bewußtsein über die Verbrechen, die an den eigenen Kindern begangen werden (die autoritäre Erziehung). Hundert Kinder werden jährlich in westdeutschen Familien totgeschlagen. Schlagt tot. Kindsmörder beruhigen das eigene Schlächtergewissen. Und die täglichen Morde an den Kindern in Vietnam (Fragezeichen aus lauter Leichen). Was beten die ehrlichen Leute? Unser tägliches Morden gib uns heute (Springerzeitungen sind die Krönung jedes Frühstücks).
Noch einmal: Die herrschende Moral ist die bürgerliche Moral, und die bürgerliche Moral ist die Unmoral.

Gegenüber einer Justiz, die Staatsanwälte hat wie den Staatsanwalt Griebel, der mir unter vier Augen erklärt, daß er die Lehre von Karl Marx hoch schätzt (aber was tut er dafür?), der in der labyrinthischen Bürokratisierung genauso gefangen sei wie ich (aber was tut er dagegen?), der der Linken vorwirft, es würden hier nur die Vorzeichen geändert und sonst gar nichts (aber er trägt das Kainszeichen der Repression weiterhin auf der Stirn), der also die Stirn hat, mir sein gespaltenes bürgerliches Herz zu offenbaren, das einerseits an der Unbeweglichkeit der herrschenden Zustände leidet und andererseits – wie grotesk – weiterhin nach den Gesetzen von 1870/71 Recht spricht – sprich Unrecht –, gegenüber einer solchen Justiz kann ich mich nicht verteidigen und können wir uns nicht verteidigen.

Jeder Staatsanwalt in die Strafanstalt.

Wo ist der Staatsanwalt, der den Staat anklagt?

Gegenüber einer Justiz, die uns wegen menschengefährdender Brandstiftung anklagt, verteidigen wir uns nicht. Gegenüber einer Justiz, von der wir allen Grund haben anzunehmen, daß wir in ihren Augen von vornherein politisch gebrandmarkt sind, können wir uns nicht verteidigen (Alle Angeklagten sind Brandstifter und alle Richter sind Biedermänner). Noch einmal: Steckt diese Landfriedensbruchbude in Brand. Und noch einmal: Gegenüber einer Justiz, die im Namen der herrschenden Klasse Recht spricht – sprich Unrecht –, verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die so autoritäre Haftrichter hat wie den Haftrichter Kappel, der den Eindruck macht, als sei er von vornherein von der Schuld (was ist das?) jedes einzelnen Angeschuldigten überzeugt, dessen manische Aggressivität unter anderem so beschaffen ist, daß er zu mir gesagt hat: Nehmen Sie die Hand aus der Tasche – und als ich dann die andere Hand in die Tasche (natürlich nicht in dieselbe) steckte, nichts mehr gesagt, sondern gelacht hat (und mir das Lachen im Halse stecken geblieben ist), als könnten er und ich jemals über eine Sache aus dem gleichen Grunde – sprich Bewußtsein – heraus lachen. Gegenüber einer solchen Justiz verteidige ich mich nicht und verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer entarteten Justiz verteidigen wir uns nicht (ein Rechtsgut ist, was gut rechts ist). Gegenüber einer Justiz, die einen grotesken Mißbrauch mit Haftgründen treibt, verteidige ich mich nicht. Wer einen festen Wohnsitz hat, bestimmt die Justiz, denn sie hält dich so lange fest, bis du ihn verloren hast, das heißt, bis dir gekündigt worden ist, und dann sagt die Justiz zu dir: Ei, Sie haben ja gar keinen. Jedenfalls, wenn du rauskommst, hast du keinen mehr, Fluchtgefahr besteht grundsätzlich immer. Gegenüber einer Justiz, die einen grotesken Mißbrauch mit Haftgründen betreibt, verteidigen wir uns nicht.

Sie offenbaren die Abgründe der Justiz. Wer einen gar zu festen Wohnsitz hat, den meldet die Polizei persönlich ab, um ihn in U-Haft nehmen zu können, so geschehen dem August Klee, der, ebenso wie ich, seit einigen Monaten im Kleinen Haus sitzt. Wobei es mir nicht darauf ankommt, festzustellen, daß das Leben auch ein Theater sein kann, sondern, das Untersuchungsgefängnis heißt so.
Während Klee auf diese Art und Weise festgenommen wurde, hat ihm die Polizei noch versichert, das machen wir nicht zum ersten Mal.
Macht aus Kriminalpolizisten potentielle Kriminelle.

Fluchtgefahr besteht grundsätzlich immer. Zum Beispiel bestand bei dem August Klee auch Fluchtgefahr, weil seine nächsten Verwandten im Ausland leben. Vor allem seine Frau und er sonst auch. Er will sich jetzt scheiden lassen (was ist das?), dann kommt er raus. Wenn du dagegen im Inland von deiner Frau (was ist das?) getrennt lebst, wenn du keine familiären Bindungen hast (weil du nicht mit Handschellen daran gefesselt bist), besteht auch Fluchtgefahr. Wenn du vor 40 Jahren das letzte Mal im Ausland gewesen bist, besteht Fluchtgefahr, wenn du eben erst von einer Reise zurückgekommen bist (und nicht gerade von einer krummen Tour), besteht schon wieder Fluchtgefahr. Wenn du Ausländer bist, besteht Fluchtgefahr (das kann ich jetzt schon auswendig). Wenn es dann bei deiner Verhaftung noch zu einer Verwechselung kommt, wie es vor kurzem in der Hammelsgasse geschehen ist (der bürgerlichen Freiheit eine Hammelsgasse), so liegt kein Irrtum vor, sondern dein Paß ist gefälscht. Hier besteht die Gefahr der Sprachlosigkeit.

Nach der Verurteilung ist es schon vorgekommen, daß sich einer gut geführt hat, um früher entlassen zu werden, das ist ihm aber verwehrt worden, er hatte sich da nämlich so gut benommen, daß von Haftgewohnheit gesprochen wurde, und er könne sich draußen sicher nicht mehr zurechtfinden. Er mußte bis zu Ende sitzen. Hier besteht die Gefahr der einfachen Umkehrung. Wenn du ein Brandstifter sein solltest, besteht natürlich Verdunklungsgefahr usw.; gegenüber einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht.

Gegenüber einer Justiz, die einen Strafvollzug hat, der in jeder Sekunde 365mal die persönliche Freiheit und die Würde des einzelnen notzüchtigt und totschlägt, erst totschlägt und dann notzüchtigt, verteidigen wir uns nicht.

Was du in der Untersuchungshaft darfst oder nicht darfst: als Untersuchungsgefangener darfst du tun und lassen, was die Justiz – sprich Anstaltsleitung – will. Du darfst keine Angst haben, du darfst nicht auf dem Bett liegen, aber du darfst unter dem Bett liegen, du darfst nicht mit mehreren Bällen Tischtennis spielen, sondern nur mit einem. Du darfst dir nicht selbst das Essen aufgeben, du darfst nicht aufgeben. Als revolutionärer Sozialist darfst du niemals aufgeben. Für das Essen ist ein Satz von 1,23 DM pro Tag vorgesehen (was für ein Satz), du darfst das Essen aber nicht dem Wachtmeister ins Gesicht schütten, denn er kann nichts dafür. Die Wachtmeister sitzen genauso im Knast wie du, und die meisten wissen es. Die Wachtmeister sind nur die kleinen Meister der Macht. Du darfst außerhalb der Zelle nicht rauchen, nur innerhalb. Du darfst nur innerhalb der Zelle zur Hölle fahren. Du darfst sie nicht anstecken, weil du ja den Feuermelder nicht einschlagen kannst, weil du ja nicht drankommst, weil du ja nicht rauskannst, die Tür ist ja abgeschlossen. Du darfst keine Gelegenheit versäumen, mit den anderen Häftlingen, die man die kriminellen nennt, zu diskutieren, was immer dabei herauskommt. Mach ihnen klar, daß sie Hauptprodukte der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind. Versuche ihnen das immer wieder klarzumachen. Weiter – du darfst nichts an die Wände kleben, aber einen Zettel, wo draufsteht, du darfst nichts an die Wände kleben, darfst du an die Wand kleben. Du darfst dich nicht verzetteln. Du darfst nichts an den Wänden aufhängen. Du darfst dich nicht aufhängen. Du sollst dir jeden Tag ein genaueres Bild von der Justiz machen. Wenn du zum Pfarrer gehst, vergiß die Krücke nicht. Besuche keinen Gottesdienst, denn Gott ist tot, aber Che lebt. Betrachte dich als sozialistisches Rudiment, denn so betrachten dich alle. Du darfst am Tag nur eine halbe Stunde spazieren gehen. Du darfst nicht aus dem Fenster rufen, du darfst dir nicht so viel Genüsse verschaffen wie du willst. Du darfst für DM 35,- in der Woche einkaufen. So ist das in Hessen. Und nicht vergessen, Hessen hat den freiheitlichsten Strafvollzug. Du darfst nicht so viel Kaffee trinken wie du willst, du darfst keinen Alkohol trinken, du darfst nicht Haschisch rauchen. Du darfst nicht konsumieren wie du willst, du darfst nicht konsumieren was du willst, und das in einer Gesellschaft, die nur noch aus Konsum besteht. Merke: Im Knast wird der Konsum wieder zum Genuß.

Der Schriftverkehr wird überwacht. Der Geschlechtsverkehr wird nicht überwacht, denn er findet nicht statt. Du darfst nicht ehebrechen (was ist das?), und du darfst die Ehe (was ist das?) nicht vollziehen. Alle, die im Loch sitzen und noch an der bürgerlichen Existenz hängen (wehe dem, der keine andere hat), und das sind die meisten, werden irre an der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Und das wird auch Zeit. Denn wie sollen sie zum Beispiel ihre Ehe aufrechterhalten? Die gehen alle kaputt, und das ist gut.

Jeder Bürger ins Gefängnis, damit er die Verhältnisse richtig kennenlernt.

Jeder Sozialist ins Gefängnis, damit er die Verhältnisse richtig kennenlernt.

Jeder Bürger ins Gefängnis, damit er ein richtiges Verhältnis zum Sozialismus bekommt.

Noch hat jeder einzelne Kapitalist oder Sozialist die Chance, als erster ein Gefängnis zu sprengen. Lest keine Springer-Zeitungen, sondern verbrennt sie. Sprengt Springer weiter.

Du darfst nicht onanieren oder masturbieren, wenn dir das lieber ist. Du darfst mit deinem Körper machen was du willst. Es lebe die zweifache Homosexualität. Wenn die neuen Sexual-Gesetze kommen, darfst du auch wieder Katzen vögeln. Ganz zu schweigen von den anderen Häftlingen. Im Zuchthaus Butzbach wird unter anderem ein schwunghafter Handel mit Büstenhaltern getrieben. Treibt Unzucht (was ist das?). Vergewaltigt die Wachtmeister, die euch schikanieren. Du darfst nicht einbrechen, aber du darfst ausbrechen. Aus dem Gefängnis meine ich. Der Fluchtversuch ist nicht strafbar. Du darfst die Bilder 1–3 zu dem Buch KLAU MICH der Kommune I nicht bekommen, weil sie wegen ihres unzüchtigen Inhalts die sittliche Ordnung in der Untersuchungshaftanstalt gefährden. Wie mir der Landgerichtsrat Glojne alias Globne dazu geschrieben hat – Fragen –, du darfst nichts in der Zelle anstecken, du darfst dich nicht in der Zelle anstecken. Du darfst dich nicht in der Zelle verstecken, du kannst es ja mal versuchen. Du darfst die Gefängnisbibliothek nicht anstecken lassen. Du darfst nicht verblöden. Du darfst dir im Rahmen einer vernünftigen Lebensweise Nahrungs- und Genußmittel sowie andere Gegenstände des persönlichen Gebrauchs beschaffen. Du darfst diesen Rahmen nicht sprengen. Was vernünftig ist, bestimmt die Anstaltsleitung (jede Anstaltsleitung in die Heilanstalt). Wenn dir Zeitungen oder Zeitschriften aus Gründen der Ordnung abgenommen werden, mußt du versuchen, sie aus Gründen der Unordnung – sprich der eigenen antiautoritären Ordnung – wieder an dich zu bringen. Du mußt sie dem Wachtmeister aus der Hand reißen, so wie er sie dir aus der Hand gerissen hat. Du mußt es versuchen. Du darfst nichts unversucht lassen. Wenn der Anstaltsleiter dich mit du anredet, mußt du ihn ebenfalls mit du anreden. Du darfst nicht arbeiten – für 80 Pfg. am Tag. Du darfst dich nicht ausbeuten lassen. Die Justiz betreibt die geheimste, gründlichste und schändlichste Ausbeutung, die es gibt. Sie mästet sich auf frühkapitalistische Weise am spätkapitalistischen System. Beschwerden sind sinnlos. Vor allem weil du dich nicht gemeinsam beschweren darfst. Beschwerden werden nach Belieben unterdrückt. Beschwerden sind sinnlos, sie unterwerfen dich nur der herrschenden Ordnung. Gemeinsame Veranstaltungen sind gemeinsame Verunstaltungen, und einsame Verunstaltungen sind einsame Veranstaltungen. Du darfst nicht vereinsamen, du darfst den Dialog nicht verlieren, du darfst den sozialistischen Dialog nicht verlieren, du hast im Knast nichts zu verlieren und nichts verloren. Du hast alles zu gewinnen.
Merke: die Rechte und Pflichten des Untersuchungsgefangenen werden hier untersucht.

Allgemeines über die Ungleichheit und Unfreiheit: Du bist ein Mensch erster Klasse, du bist ein Mensch zweiter Klasse, du bist ein Mensch vierter Klasse, du bist ein Mensch fünfter Klasse usw., und du sollst es auch bleiben. Du bist ein Verbrecher und sollst es auch bleiben. Verhalten gegenüber Bediensteten: der Gefangene hat die Bediensteten unverzüglich von sich selbst zu befreien, er hat sich selbst unverzüglich zu befreien.

Das Leben in der Vollzugsanstalt ist in Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit eingeteilt. An diese Einteilung ist der Gefangene angebunden. Das Leben in der Vollzugsanstalt ist ein Kasernenhof. Es besteht im Sitzen. Das Leben in der Vollzugsanstalt ist eingeteilt in Zeit der Ausbeutung, Zeit der Unfreiheit und Zeit der Friedhofsruhe. Die Zeit der Bewußtlosigkeit hat aufgehört. Die Zeit der Bewußtwerdung hat angefangen. Das bürgerliche Leben ist eine einzige Untersuchungshaft. Wenn du es noch nicht gewußt hast, jetzt weißt du es. Du darfst da nicht leben und du darfst nicht sterben, du darfst nicht sterben und du darfst nicht leben. Eben. Du darfst nicht im Haus umherlaufen, du darfst den dir zugewiesenen Platz nicht eigenmächtig verlassen, du darfst nicht platzen. Du darfst nicht aus dem Fenster schreien, rufen oder sprechen, du darfst nicht mit dem Zellennachbarn (was ist das?) sprechen, du darfst die Sicherheit der Anstalt nicht gefährden. Du darfst nichts heimlich zurückhalten, aufbewahren oder benutzen. Das Nichts darfst du behalten usw. Alles was du nicht darfst, das mußt du tun und darfst nicht ruhn. Denk immer dran. Jeder Staatsanwalt in die Strafanstalt. Du darfst dich nicht verteidigen. Niemals. Wer sich verteidigt, klagt sich an. Denk immer daran. Du darfst keinen unerlaubten fernmündlichen Verkehr treiben. Der Briefverkehr wird überwacht. Abgehende Briefe dürfen nicht verschlossen werden. Du darfst dich nicht selbst einschließen, du darfst nicht, du darfst nicht. Du darfst nicht müde werden.

Du darfst den Bundestagsabgeordneten Güde bei Strafe nicht auf der Straße an dir vorübergehen lassen, ohne ihm eine runterzuhauen. Er hat den Souverän in dir gereizt. Aber vorher mußt du dir die Hand rot färben. Die Linke natürlich. Noch einmal (im Loch): du darfst nicht müde werden. Konzentriere dich. Du sitzest im KZ der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft. Also weiter. Der Gefangene hat seinen Haftraum zu reinigen.

Die schlimmste Macht im Gefängnis ist die Saubermacht. Die Reinigung ist die allergrößte Peinigung. Du darfst dich durch die Saubermacht nicht zur Sau machen lassen. Mach nur dann sauber, wenn es dir paßt. Sonst sitzest du nicht nur im Knast, sondern der Knast sitzt auch in dir.

Bedenke, je sauberer die Zelle, desto größer ist die Hölle. Weiter. Der Gefangene und seine sieben Sachen und sein Haftraum können jederzeit durchsucht werden. Wenn du durchsucht wirst, frage, ob nach dem neuen Menschen gesucht wird usw. usw.

Ich kann es nicht länger beschreiben. Gegenüber einer Justiz, die einen solch unbeschreiblichen Strafvollzug hat, können wir uns nicht verteidigen. Eine solche Justiz muß angeklagt werden. Einer solchen Justiz muß der revolutionäre Prozeß gemacht werden. Es ist die Aufgabe jedes antiautoritären Richters, sich selbst, d.h. der Justiz, den Prozeß zu machen. Wir fordern die antiautoritären Kräfte der Justiz zum Generalstreik auf. Wir fordern vor allem die antiautoritären Referendare zum Generalstreik auf. Ich erkläre mich mit Gudrun Ensslin und Andreas Baader solidarisch, obwohl sie sich hier verteidigt haben, das ist etwas, was natürlich wieder niemand begreifen wird. Eine Solidarität, die sich für die nächste Zeit auf Gefängnis und Zuchthaus erstrecken wird. Ich habe jedenfalls allen Grund, das anzunehmen. Ich erkläre mich mit Horst Söhnlein solidarisch. Wenn ich jetzt sage, obwohl er sich nicht verteidigt hat, so wäre das aber eher prollidarisch als solidarisch. Also lasse ich es weg.

Wir erklären uns mit sämtlichen Aktionen, die der SDS gegen die gegen ihn laufenden Verfahren unternimmt, um deren Öffentlichkeit zu erreichen, solidarisch. Wir fordern die Abschaffung der richterlichen Autonomie, weil sie zur Macht verleitet und zur Herrschaft des Menschen über den Menschen.

Wir fordern die Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen.

Proletarier aller Länder vereinigt euch!

Venceremos!