Das folgende Interview mit Fritz Teufel, Ralf Reinders, Gerald KlÖpper und Ronald Fritzsch entstand im Sommer 1978. Gegen die vier und zwei weitere (Andreas Vogel und Till Meyer) lief seit dem 10. April 1978 der sogenannte Lorenz-Drenkmann-Prozeß vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin. Das Interview wurde von dem Journalisten Wolfram Bortfeldt fÜr die Zeitschrift Stern gefÜhrt. Aufgrund von SicherheitsverfÜgungen des Gerichts wurde jedoch alles schriftlich abgewickelt. Die Endfassung des Interviews wurde dann im November 1978 vom Gericht als Beweismittel beschlagnahmt, eine Kopie jedoch dem Stern mit einem Hinweis auf seine journalistische Sorgfaltspflicht Überlassen. Der damalige Chef-Redakteur Henry Nannen verstand den Hinweis und verbot die VerÖffentlichung im Stern. Auch andere taten sich schwer mit den Ansichten der Vier. Till Meyer, Andreas Vogel und einige andere drohten dem Stern mit juristischen Konsequenzen fÜr den Fall, daß die vier Interviewten als Sprecher der Bewegung 2. Juni dargestellt wÜrden. Hintergrund dafÜr war die Spaltung der Guerilla-Gruppe Ende 1977 in eine populistische und eine antiimperialistische Fraktion. Letztere schloß sich im Juni 1980 der RAF an. Das Interview erschien erstmals im November 1978 als BroschÜre im Eigenverlag.
1. Wie entstand die Bewegung 2. Juni? Welche persÖnlichen und politischen Erfahrungen fÜhrten dazu, Stadtguerilla zu machen und in den Untergrund zu gehen?
Abgesehen davon, daß am 2. Juni 1878 Kaiser Willem bei einer Ausfahrt im Tiergarten und während eines Staatsbesuchs des Schah von Persien in Berlin Opfer eines Attentats wurde und mit schrotgespicktem kaiserlichem Hintern im Krankenhaus darÜber sinnierte, was die Leute gegen ihn hätten, und abgesehen davon, daß am 2. Juni 1967, wieder während eines Staatsbesuchs des Schah von Persien, in Berlin der Student Benno Ohnesorg vom Kriminalbeamten Kurras in vermeintlicher (Putativ-)Notwehr erschossen wurde, abgesehen davon also, entstand die Bewegung 2. Juni durch eine Anzahl mehr oder minder lustbetonter Geschlechtsakte mehr oder minder biederer deutscher Eheleute in den vierziger und fÜnfziger Jahren, bei denen die späteren Protagonisten, Freaks und Freiheitstriebtäter der Bewegung 2. Juni gezeugt wurden.
In der kriminellen Phantasie von Staatsanwälten ist die Bewegung 2. Juni einer von verschiedenen Vereinen zur Begehung terroristischer Verbrechen. Mit Mitgliedern, Satzung, Chefs, Spezialisten und Sympathisanten. Die GemeinnÜtzigkeit dieser Vereine wird vom Establishment geleugnet. In der revolutionären Phantasie anderer Leute ist die Bewegung 2. Juni eine subversive Kraft, die nach dem 2. Juni 1967 entstanden und gewachsen ist. Mit dem Schauplatz in Berlin. Berlin, als einer von vielen Schauplätzen autonomer Bewegungen zur Veränderung der Gesellschaft. Aus einer kapitalistischen Ausbeutungs- und EntfremdungshÖlle zu einer sozialistischen Gesellschaft freier Menschen. Ohne Herrschaft. Ohne Zwang.
Tatsächlich war die Bewegung 2. Juni Anfang der siebziger Jahre zunächst eine Art politisches Gesinnungsetikett fÜr militante Aktionen gegen Besatzer, Klassenjustiz, Kapitalisten, Bullen und das verfilzte Dummbeutelregiment berliner Lokalpolitiker. Handelnde Leute waren immer aus der Szene oder Scene, die auftauchten, zuschlugen und verschwanden, wie es ihnen paßte. Nach bestem Wissen und Gewissen. Welche Erfahrungen diese Leute bewogen und bewegen? Die alltäglichen! Auf Schritt und Tritt die Fesseln der industriellen kapitalistischen Lebens- und Produktionsweise.
Familie, Schule, Fabrik, BÜro, Betrieb, Uni, Knast, Wohnsilo, der ganz gewÖhnliche terroristische Irrsinn des kapitalistischen Alltags, der Jugendliche in aller Welt auf die Barrikaden und dazu trieb, mit neuen Formen des Zusammenlebens und des Kampfes zu experimentieren. Der Wunsch, selbständig zu leben. Nicht Anziehpuppe, Schräubchen, Roboter, manipulierter Konsumidiot einer vom Profitinteresse gesteuerten gesellschaftlichen Als-ob-Natur zu sein.
Und was heißt Untergrund? Nach jeder Aktion, die nicht in den Kreis der allseits beliebten eigentÜmlichen Gesellschaftsordnung paßt, fÜllen die Bullen einen Tippzettel aus. Die und die, und der und der kÖnnten es gewesen sein. Polizeideutsch: Mit Haftbefehl gesuchte terroristische Gewalttäter. Und sobald du dein mehr oder weniger gelungenes Konterfei an den Litfaßsäulen entdeckst, kannst du wählen: Entscheidung fÜr den
Übergrund, den Polizeistaat, die Gesellschaft von gestern: Stell dich der Polizei; laß dich grÜndlich aushorchen und beschnÜffeln; ich war's nicht; aber vielleicht mein Kumpel; sitzt du notfalls ein paar Jahre auf Verdacht; oder Entscheidung fÜr den Untergrund, die Gesellschaft von morgen: Leckt mich doch am Arsch; ein Leben auf der Flucht; oder ist das Ganze vielleicht eine Bullenalternative? Die freie Wahl zwischen zwei mÖrderischen Existenzschablonen. Muß sich da fÜr uns die Frage nicht ganz anders stellen? Das ist doch gerade die Aufgabe der Bewegung, die Schablonen und Zwangsjacken der Bullen unbrauchbar zu machen. Der Computer kennt nur ja oder nein, beziehungsweise I oder O. Der Revolutionär kennt das Leben, lernt es von allen mÖglichen Seiten kennen. Es gibt fließende Übergänge zwischen Legalität und Illegalität. Leute, die nicht gesucht werden, kÖnnen ungesetzliche Dinge tun. Leute, die gesucht werden, kÖnnen jahrelang leben, ohne sich an irgendwelchen typischen Stadtguerillaaktionen zu beteiligen; etwa im Ausland leben, in Landkommunen, oder mit falschen Papieren in einem BÜro, einer Fabrik oder sonstwo arbeiten.
Und was gestern erlaubt war, kann schon heute verboten sein, wie es den Herrschenden in den Kram paßt. Allein in den letzten Jahren haben etwa fÜnfhundert ArschlÖcher in Bonn ein paar Dutzend Leute in den Gefängnissen mit neuen Gesetzen regelrecht zugeschissen.
2. Haben theoretische Schriften dabei eine Rolle gespielt?
Wenn die Frage darauf abzielt, welche Schriften zwecks Staatsschutz aus dem Verkehr gezogen werden mÜssen, alle! Alles, was die Phantasie anregt, ist gefährlich. IndianerbÜcher, Reisebeschreibungen, Illustrierte (der dressierte Mann im STERN ist unheimlich gefährlich).
Ansonsten mÖgen diverse Schriften wohl DenkanstÖße geben und Zusammenhänge vermitteln; die Motivation aber, bewaffneten Widerstand zu leisten, bezieht man aus den konkreten, praktischen Erfahrungen, der Rechtlosigkeit im Betrieb, der Wirkungslosigkeit verbalen Protestes, dem Normenterror, dem Widerspruch zwischen formalen Rechten und der realen Machtlosigkeit, sie auch tatsächlich durchzusetzen.
3. Mann soll sich den Schritt in die Illegalität nicht leicht vorstellen, hat Horst Mahler gesagt. Wie verändert man sich in der Illegalität?
Man soll sich Überhaupt nichts leicht vorstellen. Illegalität, Legalität, Fabrik, Knast, CDU, SPD immer haben wir die freie Wahl zwischen Igitt und Pfuibäh. Keiner wird freiwillig illegal, und wenn wir illegalisiert werden, dann wehren wir uns gegen die Schablonen Illegalität und Terrorismus. Wir wehren uns und leisten Widerstand. Genau wie das in allen anderen Lebensbereichen und Situationen mÖglich und nÖtig ist.
Illegalität ist nichts Besonderes. Das kann jedem passieren, wie ein Tritt in Hundescheiße. Das beweisen die Verfolgungen der Kernkraftgegner von Brokdorf und Grohnde ebenso wie die Razzien gegen die Frankfurter Frauengruppen, zum Beispiel. Wir werden uns hÜten, Illegalität zu glorifizieren oder zu dämonisieren. Sie ist im Polizeistaat was ganz Alltägliches. Wir mÜssen nÜchtern bleiben. Mahler hat mal gesagt
Die revolutionäre Politik ist notwendig kriminell und wurde als Verfasser einer BroschÜre1 genannt, die sich großer Beliebtheit erfreute. Damals stand er in einem Wald von Ausrufezeichen Begreift endlich! Macht endlich! Tut was! Heute steht er in einem Wald von Fragezeichen und läßt sich dem gebildeten Publikum als antiterroristische Vogelscheuche präsentieren. Dabei ist Mahler wohl immer aufrichtig; gelangte aber wie manch einer vom
Überschwang der Begeisterung zum Überschwang der Bitterkeit. Was not tut, ist ein nÜchternes Verhältnis zur Wirklichkeit. Auch zur Wirklichkeit der Illegalität. Wir sehen im Mischwald der Wirklichkeit unseres progressiven Alltags Ausrufezeichen und Fragezeichen und manches A mit Kringel rum. Aktionsfähigkeit, Begeisterung und drauf sein und die Fähigkeit zur Selbstkritik (wozu auch gehÖrt, die Kritik anderer ernstzunehmen, auch wenn die Bullen jede Art von Kritik am Kampf fÜr sich auszuschlachten bemÜht sind) dÜrfen einander nicht ausschließen.
4. Versperrt nicht die Illegalität den Zugang zu den Massen, die man eigentlich erreichen will?
Illegalisierung ist ein Mittel der Bullen, Leute zu isolieren, die sie fÜr gefährlich halten. Klar. Aber Isolation herrscht in allen Lebensbereichen; der Kampf gegen die Isolation, fÜr Solidarität ist die Hauptaufgabe jeder revolutionären Praxis. Aber nicht die Illegalität versperrt den Zugang zu den Massen, sondern der mÖglicherweise daraus resultierende stinkende Avantgarde-DÜnkel. Im Übrigen sind wir keine Prediger, die den Massen die Heilslehre bringen. Funktion der Guerilla ist es, die MÖglichkeiten des Widerstandes gegen einen scheinbar allmächtigen Staat und seine Nutznießer aufzuzeigen und zu organisieren. Wenn KKW-Gegner durch Bauplatzbesetzungen oder Sabotage die VerwÜstung ihrer Umwelt verhindern, wenn Frauengruppen Abtreibungsfahrten oder -kliniken organisieren, wenn SchÜler sich durch anonyme Bombendrohungen einen Tag Befreiung vom Leistungsterror in den Lernfabriken erkämpfen, dann ist das auch eine Art Guerilla. Guerilla ist keine Religion, sondern die Kampfform gerade der Massen.
5. Waren die Aktionen eher spontan oder eher ganz genau geplant? Wie war das GefÜhl danach?
NatÜrlich verlangen die Bedingungen im Kampf, in der Aktion ein bestimmtes Maß an Planung. Wobei die Spontaneität allerdings nicht zu kurz kommt, weil keine Aktion in der Praxis wie geplant hinhaut.
6. In der RAF gab es starke hierarchische Tendenzen. Wie sieht das in der Bewegung 2. Juni aus? Wie wurden Entscheidungen getroffen? Wie war das Verhältnis zur RAF?
Wir wissen nicht so viel Über die RAF. Aktive RAF-Leute sagen immer, daß bei ihnen Zärtlichkeit und Kollektivität herrschen. Beim 2. Juni unterdrÜcken die Frauen die Männer und die Proleten die Studenten, sowie umgekehrt. Entscheidungen werden durch wÜrfeln oder Schlägereien getroffen, aber immer falsch. Unser Verhältnis zur RAF ist sehr erotisch und verwandtschaftlich.
7. Gibt es Leute, die gesagt haben
Das mache ich nicht mehr mit und sind ausgestiegen?
Ja!
8. Nach dem Ausbruch von Till Meyer2 meldeten sich Revolutionäre Zellen zu Wort
War das keine Aktion des 2. Juni?
Die Revolutionären Zellen Übernahmen die Verantwortung fÜr die beiden Aktionen gegen die Zwangsverteidiger3. Wie aus einer Erklärung, die Till Meyer im Prozeß abgegeben hat, hervorgeht, wurde die Befreiungsaktion von einem Kommando Nabil Harb durchgefÜhrt.
9. Irgendwo war etwas von einer Konkursmasse der Bewegung 2. Juni4 zu lesen. Ist die Bewegung im Begriff, sich aufzulÖsen?
Bewegung 2. Juni ist ein politischer Begriff. Er bezeichnet die alltägliche Konkretisierung des aus der Jugendrevolte der 60er gewachsenen politischen Widerstandes. Das heißt, daß die Bewegung 2. Juni von allen jenen verkÖrpert wird, die versuchten und versuchen, dem alltäglichen kapitalistischen Terror Widerstand und Alternative entgegenzusetzen. Dazu gehÖren Hausbesetzer und Jugendliche, die ihre Jugendzentren in Selbstverwaltung Übernehmen, dazu gehÖren Knast- und Frauengruppen, Kinderläden und Alternativzeitungen, die Organisatoren von Mietstreiks und Abtreibungsfahrten genauso wie die internationalistischen Solidaritätskomitees mit den VÖlkern in Vietnam, Iran, Palästina, Angola, West-Sahara oder sonstwo.
Die bewaffneten Kommandos waren Ausdruck und Ergebnis dieser Bewegung, sie kamen aus ihr, wurden von ihr genährt und waren von ihr abhängig auch wenn das heute einige nicht mehr wahrhaben wollen. Es war der Versuch, den latenten revolutionären Charakter der Bewegung in exemplarische Aktionen umzusetzen, und so die Entwicklung voranzutreiben, die partielle Ohnmacht der Bewegung zum Beispiel gegenÜber Knast und Polizei zu Überwinden.
Weder die Bewegung noch ihre bewaffneten Gruppen haben sich aufgelÖst. Aber es gab und gibt einen weitgreifenden Umwandlungsprozeß. Heute ist kaum noch von Konsumterror die Rede, dafÜr um so mehr von Arbeitslosigkeit. Nicht mehr die Angst vor den Notstandsgesetzen treibt die politische Opposition auf die Straße, sondern Polizei und BGS machen BÜrgerkrieg, in dem die Gesetze nur noch Makulatur sind siehe Grohnde, Brokdorf, Stammheim, GrenzÜberwachung, Wanzenkrieg, BEFA, Big-brother Dispol, Werkschutzkarteien und -aufrÜstung, usw., usw. und der zunehmende soziale Abstieg der Mehrheit der BevÖlkerung schafft eine andere Art der Unzufriedenheit als die moralische EmpÖrung der Studenten gegen weit entfernte Blutbäder des Imperialismus.
Wenn Sie so wollen, gibt es eine Phase der Transformation des ideellen in einen materiellen Charakter des Widerstandes. In diesem Zusammenhang gibt es natÜrlich auch zunehmend eine Verlagerung der Gewichtigkeit revolutionärer bewaffneter und unbewaffneter Aktionen, eine Umstrukturierung des Widerstandes, der Widerstands- und Organisationsformen.
10. Karl-Heinz Dellwo hat geäußert
Durch manche Aktionen wÜrden die Sympathisanten vor den Kopf geschlagen. Ist es so, wie Bommi Baumann sagt, daß jetzt nach Gesetzmäßigkeiten gehandelt wird, die man nicht mehr selber bestimmt?
Es stimmt. Die FlugzeugentfÜhrung nach Mogadischu5 war volksfeindlich. Es gibt sogar eine Theorie, wonach es populistisch sei, nach der Sympathie des Volkes zu gieren und revolutionär, sich einen Scheißdreck drum zu kÜmmern. Wir haben uns fÜr den Populismus entschieden, weil es bei unserem blendenden Aussehen ohnehin unmÖglich ist, die Sympathie der Volksmassen loszuwerden.
Bommi Baumann handelt nach der Gesetzmäßigkeit, daß er von Zeit zu Zeit Geld braucht und seine inzwischen bekannten Geschichten nur verkaufen kann, wenn er sich was Neues einfallen läßt. Wie z.B. atomare Erpressung durch Terroristen. Hier hÖrt fÜr uns der Spaß auf. Es waren rassistische Amis, die die ersten Atombomben auf japanische Millionenstädte werfen ließen. Und wir fÜrchten schon lange, daß die atomaren Profitgeier und die politisch Verantwortlichen nach dem ersten grÖßeren KKW-Unfall oder AtomwaffenunglÜck den Volkszorn auf uns lenken wollen. Daß sich Bommi fÜr sowas hergibt, zeigt, wohin es fÜhren kann, wenn man sich zur Propagandanutte der Herrschenden machen läßt.
11. Sah die Bewegung 2. Juni bei ihrer GrÜndung die Bundesrepublik als faschistischen Staat an, wie sieht sie den Staat heute? Hat sich die Analyse entscheidend verschoben?
Quatsch! Die BRD war und ist nicht faschistisch. Aber die staatstragenden BÜrokratien, allen voran Polizei und Justiz, funktionieren unverändert, nicht erst seit dem 3. Reich, sondern schon seit Kaiser Willem und auch in der Weimarer Republik im Sinne der Herrschenden, der Reaktion, des Kapitals. So ist es in jeder Klassengesellschaft. Und es sind diese staatstragenden BÜrokratien, die besonders in Krisenzeiten Terror von Staats wegen betreiben.
Dabei fÜhlt sich der einzelne Richter, Staatsanwalt und Bulle durchaus unbefangen. Der Repressionsapparat funktioniert durch (preußischen) Drill und (Klassen-)Reflexe. Blind wären wir, wenn wir keinen Unterschied sähen zwischen freislerschen Verhandlungen am Nazi-Volksgerichtshof, die in 10 Minuten zu dem Urteil RÜbe ab fÜhrten und unserem Prozeß, der sich Über Monate und Jahre hinquälen wird, zu einem Urteil, das kaum weniger feststeht, aber immer bemÜht, den rechten staatlichen Schein zu wahren. Wir dÜrfen sogar noch Interviews geben sehr nett!
Der Faschismus kann dem normalen bÜrgerlichen Staat nicht einfach gegenÜbergestellt werden, wie schwarz zu weiß. Die Übergänge sind fließend. Beides sind kapitalistische Herrschaftsformen. Die BRD ist kein faschistischer Staat, aber es gibt faschistische Tendenzen, die sich gerade in den letzten Jahren erheblich verstärkt haben. NatÜrlich sind die Methoden heute viel feiner und differenzierter. Nehmen wir die Gefängnisse: Immer noch und immer wieder werden Gefangene zusammengeschlagen, in Beruhigungszellen geschleppt, wo sie auch gegen ihren Willen Beruhigungsspritzen verpaßt kriegen. Aus lauter FÜrsorge wurden RAF-Gefangenen in Hamburg während des Hungerstreiks im Sommer 77 mit Holzkeilen Zähne eingeschlagen, als sie sich gegen die Zwangsernährung wehrten. Uns wurden im Mai 77 von Sondereinsatzkommandos des Staatsschutzes mit Knebelketten die Handgelenke blutig gequetscht, es gab bÜschelweise ausgerissene Haare und Tritte in die Nieren. Damit sollte der Widerstand gegen Zwangshaarschnitte gebrochen und das Grimassenschneiden bei GegenÜberstellungen bestraft werden. Amnesty International meldete Besorgnis an. Ein renommierter Rechtsgelehrter sprach von Folter. Die Presse schwieg.
Und es gab tote Trakts, in denen zum Beispiel Astrid Proll und Ulrike Meinhof Über Monate und Jahre perfekt isoliert wurden. Hier wurde zu Recht von weißer Folter gesprochen. Das Kontaktsperregesetz6 macht Gefangene nach WillkÜr der Bonner Regierung wehrlos und rechtlos. Filbinger7 darf sich einen furchtbaren Juristen nennen. Die Vorgänge in einem Gefängnis des von ihm regierten Bundeslandes blieben unaufgeklärt, zugedeckt von LÜgenmärchen und undurchdringlichen Schaumteppichen offizieller Erklärungen. Daß all dies, gemessen an den Greueltaten und Folterungen der Nazi-Zeit verblaßt, kann kein Maßstab fÜr uns sein.
Der Frage nach dem Faschismus liegt eine Denkschablone zugrunde, die große Teile der Linken bisher erfolgreich von einer Auseinandersetzung mit der Problematik des bewaffneten Widerstandes hier und jetzt abgehalten hat. VerkÜrzt: Der bewaffnete Kampf fÜr den Sozialismus sei nur sinnvoll und legitim gegen die offen faschistischen Varianten kapitalistischer Regime.
Die deutsche Geschichte hat gezeigt, daß gerade dann schon alles zu spät sein kann. Bewaffneter Kampf wird nicht dadurch sinnvoll, daß wir krampfhaft versuchen zu beweisen, daß der Staat durch und durch faschistisch ist. Einige Genossen haben darauf schon zuviel MÜhe verschwendet.
12. Aktionen der Bewegung 2. Juni und der RAF haben zur AufrÜstung der Polizei und Verschärfung der Gesetze gefÜhrt. Dies kann sich auch gegen die legale Linke richten. Sind solche Folgen vor den Aktionen einkalkuliert worden?
Wer sich freiwillig einem Herrn unterwirft und sich ausbeuten läßt, der hat keine Repressalien zu fÜrchten. Wenn er sich verweigert, wird er mit Gewalt gezwungen, und je stärker sein Widerstand wird, um so stärker wird der Terror der Herrschenden. Wäre es anders, wÜrde es keine Herrscher und keine Beherrschten geben. Die Alternative, quasi freiwillig auf Selbstbestimmung zu verzichten, damit man nicht terroristischen Methoden unterworfen wird, ist keine.
Revolutionäre Aktionen sind natÜrlich ein beliebter Vorwand, die bÜrgerlichen Freiheitsrechte einzuschränken und den UnterdrÜckungsapparat auszubauen. Sie sind aber nicht der Grund dafÜr. FÜr die Notstandsgesetze und das Handgranatengesetz zum Beispiel, zieht dieses Argument auf jeden Fall nicht. Und sogar die mobilen Einsatzkommandos waren längst beschlossene Sache, bevor die ersten grÖßeren Guerilla-Aktionen durchgefÜhrt wurden.
Und fÜr die Berufsverbote kann die Guerilla ja wohl auch nicht herhalten. Daß Aktionen oder angeblich drohende Aktionen von Minderheiten und kleinen Gruppen zur Rechtfertigung herhalten mÜssen, ist allerdings eine aus dem Faschismus bekannte Methode.
Wenden wir doch mal diese Argumentation gegen die Herrschenden: Ausbeutung des Volkes, Polizei- und Gefängnisterror fÜhren immer wieder zu verstärktem Widerstand und blutigen Revolutionen. Sind diese Folgen von den Herrschenden einkalkuliert? Offensichtlich!
13. Es ist und bleibt unser Ziel, die Mehrheit des Volkes fÜr die Revolution zu gewinnen hat Ralf Reinders im Prozeß gesagt. Wie paßt zum Beispiel die EntfÜhrung einer Lufthansa-Maschine mit Mallorca-Urlaubern dazu?
Überhaupt nicht!
14. Horst Mahler hat gesagt
Dieser Staat benutzt die Terroristen, um die Freiheitsrechte, die 1949 nach dem Zusammenbruch des Faschismus dem Volke gelassen werden mußten, jetzt schrittweise zu liquidieren! Sollte man diese bÜrgerlichen Freiheitsrechte jetzt nicht besser verteidigen?
Der Patron sagt
Bedankt euch bei den Faulen, wenn wir weniger Lohn zahlen!
Der Gesetzgeber sagt
Bedankt euch bei den Dickschädeligen, wenn wir dickere KnÜppel nehmen mÜssen! Die SS sagt Bedankt euch bei den Partisanen, wenn wir das ganze Dorf massakrieren! Aber wie kÖnnen wir denn so reden in einer Demokratie, wo das Volk das Sagen hat? Sind wir so dumm, daß wir uns selbst ausbeuten, unterdrÜcken und massakrieren? Die Logik der Befreiung kann nicht diesselbe sein wie die der Herrschaft.
Wir werden unseren Peinigern den Hintern kÜssen, damit Horst Mahler einen Farbfernseher kriegt.
15. Bommi Baumann hat gesagt, Mogadischu wäre elitärer Wahnsinn gewesen, die Ermordung Schleyers hätte politische RÜckschläge gebracht. Sind politische Fortschritte nicht eher von legalen Basisbewegungen wie AKW-Gruppen und BÜrgerinitiativen zu erwarten?
EntfÜhrung und Tod von Altnazi und Unternehmerfunktionär Schleyer8 haben einen anderen Stellenwert als Mogadischu. Die Verbindung einer richtigen mit einer falschen Aktion konnte noch ganz andere Leute verwirren als Bommi Baumann. Nur schematisches Denken und Dogmatismus auf beiden Seiten kann die Trennung von legaler und illegaler Bewegung, von bewaffneter und unbewaffneter BÜrgerinitiative aufrechterhalten. Dieser Schematismus, diese Trennung sind es, die den politischen Fortschritt hemmen. Dagegen kämpfen wir.
16. Gab es irgendwann vielleicht erst jetzt während der Haft den Punkt, wo man sich sagt
Das ist nicht mehr das, was wir angestrebt haben. Wir mÜssen unsere Ausgangsposition neu Überdenken?
Eine Gesellschaft ist nichts Starres, UnverrÜckbares. Es gibt ständig Veränderungen, Prozesse, Wandlungen, Verschiebungen der Machtverhältnisse. Von daher muß die eigene Politik natÜrlich laufend ÜberprÜft und Überdacht werden. Geschieht das nicht, verkommt sie zum Dogmatismus, entfernt sich von der Realität und programmiert die eigene Niederlage.
Oder wie Marx sagt
Proletarische Revolutionen kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurÜck, um es wieder von neuem anzufangen, verhÖhnen grausam grÜndlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner niederzureißen (werfen), damit er neue Kräfte aus der Erde saugen und sich riesenhafter ihnen gegenÜber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurÜck vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Stärke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmÖglich macht und die Verhältnisse selber rufen Hic rhodos, hic salta! hier ist die Rose, hier tanze!
17. An manchen Prozeßtagen schien die Stimmung in den Anklageboxen sehr heiter zu sein. Hat man was zu lachen mit der Aussicht auf lebenslange Haftstrafen?
Das Leben ist ernst genug, man kann es nur lachend ertragen, wie Gerald zu sagen pflegt. Aber mal im Ernst. Diese Frage kann so Überhaupt nur gestellt werden, weil sich SauertÖpfe eingeschlichen haben, besser gesagt, SauertÖpfigkeit sich breit macht im bunten Spektrum linker Sekten. Die Perspektive, die das Kapital den Menschen bietet, ist ja auch scheußlich. Ob das nun lebenslange Haft oder lebenslange Ausbeutung, imperialistische Kriege oder atomare Verseuchung ist. Wer sich damit abfände, hätte wirklich nichts zu lachen. Es ist aber das noch nicht allseits verstandene Prinzip der Spaßguerilla, daß das Leben Spaß machen soll. Und daß der revolutionäre Kampf Spaß machen muß, weil ihn sonst keiner fÜhrt. Wer sich wehrt, der hat auch was zu lachen. Ein riesiges Aufgebot von Muffigkeit verbreitender Staatsgewalt ist nÖtig, um das Moabiter Kasperle-Theater nicht im offenen Gelächter des Volkes ertrinken zu lassen. Sollen wir ernst bleiben, wenn der Zeuge Peter Lorenz kommt?
18. Andreas Vogel ist jetzt ohne Vertrauensanwalt9. Mit dem Zwangsverteidiger will er nicht zusammenarbeiten. Wie weit ist fÜr ihn eine Verteidigung noch mÖglich?
Mit einem bißchen guten Willen ist alles mÖglich. Ein Raumflug ohne Rakete, eine juristische Verteidigung ohne Verteidiger. Die Gegenseite ist noch schlechter dran. Sie mÜssen den Prozeß fÜhren ohne Moral, ohne Menschlichkeit, ohne Verstand.
19. Wie ist die Prozeßeinschätzung Überhaupt?
Wenn wir nicht gefangen wären, wären wir nicht hingegangen, ansonsten schien es uns manchmal anstrengend, aber lustiger als in der Zelle zu sitzen. Auch wollten wir jede Gelegenheit nutzen, zu sagen, was wir zu sagen haben. Der bisherige Prozeßverlauf hat gezeigt, daß Gerichte mit dem Typ Angeklagten schlecht zurecht kommen. In dem Maße, in dem das
Öffentliche Interesse zurÜckging ganz natÜrlich, denn wir sind nicht der Nabel der Welt nahm die ProzeßfÜhrung durch Bundesanwaltschaft und Strafsenat zunehmend den Charakter einer Dampfwalze an.
Die sondergesetzlichen MÖglichkeiten zur Beschränkung der Verteidigung und zum Ausschluß der Angeklagten wurden voll ausgeschÖpft. Bereits ein Vierteljahr nach Prozeßbeginn hatte die Bundesanwaltschaft gegen sämtliche Vertrauensverteidiger wegen äußerungen im Prozeß Ehrengerichtsverfahren eingeleitet. Dabei handelt es sich zum großen Teil um junge, unerfahrene Anwälte. Anwälte mit einschlägigen Erfahrungen in Staatsschutzprozessen wurden schon vor Prozeßbeginn mit Berufsverbot belegt, wie Henning Spangenberg oder nach dem Sonderparagraph 146 (Verbot der Mehrfachverteidigung) vom Verfahren ausgeschlossen. Anwälte von auswärts wurden ferngehalten durch die Weigerung des Gerichts, solche Anwälte zu verpflichten. Damit schieden sie aus finanziellen GrÜnden aus. Wir selbst wurden zunächst tageweise und dann auf unbestimmte Zeit vom Prozeß ausgeschlossen, weil wir's nicht einfach hinnahmen, daß das Gericht unsere Freunde und Verwandten im Publikum bei jeder Lebensäußerung von der
Überpräsenten Sitzungspolizei zusammenknÜppeln ließ, weil wir's nicht hinnahmen, daß Zwangsverteidiger gegen unseren Willen in den Prozeß eingriffen und Zeugen befragten. Solange wir da waren, wurden unsere Wortmeldungen in der Regel, die der Vertrauensverteidiger häufig Übersehen. An einigen Prozeßtagen schienen dem Gericht bei Erreichen einer bestimmten Prozeßetappe, etwa Verlesung der Anklageschrift, bis zu einem festgelegten Termin, Prämien zu winken. Ein Tonbandprotokoll wurde abgelehnt. Somit läßt der Vorsitzende immer seine Version strittiger äußerungen ins Protokoll nehmen. Protokollierungsanträge der Anwälte wurden abgeschmettert. Etwa als ein Zeuge sagt
Ich hab alles unterschrieben, was der Staatsschutz mir vorgelegt hat.
Andererseits vermittelt der Vorsitzende zunehmend den Eindruck, daß er von den Übrigen Senatsmitgliedern und der Bundesanwaltschaft genauso Überfahren wird wie Verteidiger und Angeklagte. Nach unserem Ausschluß haben wir schriftlich erklärt, daß wir in Zukunft noch artiger sein wollen. Das Gericht hat diese Erklärungen als nicht ernsthaft und beleidigend qualifiziert.
Bei alledem handelt es sich aber nicht nur um einen Abbau demokratischer Rechte. Vielmehr werden Staatsschutzverfahren in den Alltag der Klassenjustiz eingegliedert. Denn die Rechte, die auf dem Papier stehen, konnten normale Gefangene (Knastjargon: Knackis) niemals wahrnehmen.
Dazu brauchte es schon immer entweder ein finanzielles Polster, wie bei WirtschaftsbetrÜgern großen Stils, außerordentliches Interesse der Öffentlichkeit, wie etwa bei der Spiegelaffäre oder den ersten Studentenprozessen, oder eine Nazivergangenheit und damit ein tragfähiges Sympathisantengesetz in der Justizscene. Der Beisitzer von Richter Geus, Richter Weiß, hat den Beisitzer des Nazi-Volksgerichtshofes, Rehse, freigesprochen. Richter Weiß ist repräsentativ fÜrs Berliner Kammergericht. Bei anderen Oberlandesgerichten und dem BGH in Karlsruhe sieht's nicht besser aus. Daß die AbkÜrzung BGH Brauner Gangsterhaufen bedeutet ist frei erfunden. Wenn wir jetzt noch sagen, daß wir mit einem fairen Urteil rechnen, hoffen wir, daß auch Mäxchen MÜller Ironie versteht.
In bestimmter Hinsicht ist der Prozeß jetzt schon fÜr uns gelaufen, weil wir durch unseren Rauswurf uns nicht mehr selbst verteidigen, nicht mehr fÜr uns selbst reden kÖnnen. Damit ist den vorher schon geringen MÖglichkeiten der Verteidigung die letzte Basis entzogen worden.
20. Haben sich die Haftbedingungen seit der Flucht von Till Meyer verschärft? Wie?
An unseren Haftbedingungen hat sich, abgesehen von den Trennscheiben, die fÜr Anwaltsbesuche ab 1. Juni per Gesetz eingefÜhrt wurden und die von den Sicherheitsidioten jetzt auch fÜr alle anderen Besuche eingefÜhrt wurden auch bei Leuten aus sogenannten UnterstÜtzerprozessen und den Agit-Druckern vor ihrer Freilassung nichts geändert. Unsere Haftbedingungen sind auch so beschissen genug.
21. Welche Folgen haben die neuen Trennscheiben in den Sprechzellen fÜr die Prozeßvorbereitung, fÜr die Zusammenarbeit mit den Verteidigern? Welches GefÜhl hat man hinter der Scheibe?
Man hat das GefÜhl, hinter dem Schaufenster zu sitzen und durch das Schaufenster zu glotzen. Menschlicher Kontakt geht flÖten. Gemeinsames Aktenstudium mit Anwalt ist erschwert, weil man jedes Blatt einzeln an die Scheibe halten mÜßte. Schriftliche Unterlagen oder Akten, die frÜher noch beim Anwaltsbesuch ausgetauscht wurden und jeweils vorher und nachher durch Sonden kontrolliert wurden, kÖnnen nur noch Übers Gericht rein und raus, was Tage, manchmal wochenlang dauert. Gezielte Vorbereitung auf einzelne Prozeßabschnitte ist nicht mehr mÖglich.
22. Wieviel Besuch (Verwandte, Freunde) darf man empfangen?
Man darf alle vierzehn Tage eine halbe Stunde Besuch haben, begleitet von zwei StaatsschÜtzern und einem Anstaltsbullen. Und das hinter der Trennscheibe. Seitdem das so ist, verzichten in Moabit alle davon betroffenen Gefangenen auf die Besuche. Das heißt, wir lassen die Besucher noch kommen, damit sie sich die Trennscheiben anschauen kÖnnen und brechen dann ab.
23. Welche BÜcher und Zeitschriften darf man lesen? Welche bekommt man nicht?
Stern, Spiegel und bÜrgerliche Tageszeitungen bekommen wir noch. Bei einigen Gefangenen in Westdeutschland wird aber selbst da schon fleißig zensiert. Zeitungen und Zeitschriften, die Überhaupt nur linksliberal angehaucht sind, bekommen wir Überhaupt nicht mehr. Da ist sogar schon das sozialdemokratische Wiener Neue Forum sicherheitsgefährdend.
BÜcher dÜrfen nur noch Über die Vermittlung der Anstalt bezogen werden, und die weigert sich ganz einfach, so daß wir jetzt Überhaupt keine BÜcher mehr bekommen.
24. Wie oft sieht sich die Gruppe außerhalb der Verhandlung?
Wir haben täglich eine Stunde Hofgang zu sechst (Gruppe), einmal zwei Stunden Ping-pong und einmal zwei Stunden Zusammenschluß pro Woche mit der MÖglichkeit, BÜcher, Zeitschriften und Schriftliches auszutauschen, was sonst verboten ist.
25. Gibt es Kontakte zu anderen Untersuchungsgefangenen?
Soweit Rufkontakte Über den Hof mÖglich sind, werden sie mit Schikanen, sogenannten Hausstrafen (Einkaufssperre, Hofgangentzug, Bunker) und Verlegungen geahndet, sowohl fÜr uns als auch fÜr die betreffenden Gefangenen.
Briefkontakte Über die Zensur, bei denen die Briefpartner ebenfalls mit Schikanen rechnen mÜssen. Es gab schon Fälle, wo unter Hinweis auf Briefkontakte mit einem von uns, Aussetzungen von Reststrafen auf Bewährung abgelehnt wurden. Ansonsten keinerlei Kontakt im Rahmen des Vollzugs, dauernde Abschirmung.
26. Wie oft werden die Zellen durchsucht?
Nach Gerichtsbeschluß in 14 Tagen jeweils siebenmal. Meistens in unserer Abwesenheit. Der Staatsschutz bedient sich, offiziell bei richterlich angeordneten Durchsuchungen, zu besonders feierlichen Anlässen. Inoffiziell täglich.
Verteidigungsunterlagen werden gelesen, fotografiert, kopiert, gestohlen. So hat's uns nicht Überrascht, als die Bundesanwaltschaft ihre Antwort auf einen frisch gestellten Antrag der Verteidigung schon frisch getippt vom Blatt las.
Die Birne des ertappten VÖlz war fast so rot wie seine Robe, natÜrlich hatte Geus kein Interesse, den Vorgang aktenkundig zu machen. Um auf die Filzungen zurÜckzukommen (oder heißt das VÖlzungen?): Einmal in der Woche wird die gesamte Habe einschließlich Lebensmittel zusammengepackt und in der sogenannten Durchleuchtungsstelle von besonderen Beamten gerÖntgt. Dort wurde die Habe auf einen verschiebbaren Tisch gelegt und ohne irgendeinen Strahlenschutz von oben gerÖntgt. Jahrelang. Zu Beschwerden der Anwälte nahm der Anstaltsarzt Stellung. Gesundheitlich vÖllig unbedenklich. Doch die dort arbeitenden Beamten erhielten Anfang des Jahres Strahlenschutzkleidung und am 31. Juli 1978 wurde diese Durchleuchtungsstelle dichtgemacht. Wahrscheinlich gibt es keinen Zusammenhang zu dem Darmkrebsverdacht bei dem Gefangenen Eberhard Dreher, der denselben Kontrollen unterzogen wird wie wir. Die Habe wird jetzt an einer anderen Stelle der Anstalt in einem vÖllig abgeschirmten Gerät gerÖntgt.
27. Im Prozeß werden die Haftbedingungen oft scharf kritisiert. Was soll da geändert werden?
Was heißt
Was soll geändert werden? Der Knast soll ganz abgeschafft werden, weil er ein Instrument ist, die Klassenverhältnisse aufrechtzuerhalten. NatÜrlich geht das nur Über die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse Überhaupt.
FÜr uns geht es darum, im Knast Bedingungen zu erkämpfen, die das Überleben gewährleisten, das heißt, unsere physische und psychische Integrität garantieren. Das gilt nicht nur fÜr uns, sondern fÜr alle Gefangenen. Konkret heißt das einmal
Aufhebung der Sonderbehandlung, Integration in den normalen Knastalltag. Das heißt zum anderen Mindestens die Verhältnisse fÜr alle Gefangenen zu schaffen, die derzeit hier in Moabit nur eine kleine privilegierte Minderheit genießt, den sogenannten Wohngruppenvollzug.
In Moabit gibt es nebenbei gesagt die schlechtesten Haftbedingungen aller Knäste in der BRD. Der sogenannte Normalvollzug bedeutet hier täglich eine Stunde gemeinsamen Hofgang. Das ist alles, was Über Monate und Jahre an sozialem Kontakt geboten wird. Die restliche Zeit, also 23 Stunden täglich, sitzt der Gefangene allein auf der Zelle. Wohngruppenvollzug bedeutet täglich 7 1/2 Stunden offene Zellen, abends 2 1/2 Stunden gemeinschaftliches Fernsehen.
Der Wohngruppenvollzug ist von Baumann10 als Vorzeigemodell eingefÜhrt worden, der allen Gefangenen zugute kommen sollte, die länger als ein Jahr in Haft sitzen. Tatsächlich kommen aber nur ein Teil der so lange oder länger Einsitzenden in den Wohngruppenvollzug.
Fußnoten
1 Neue Straßenverkehrsordnung, von Horst Mahler verfaßtes Strategie-Papier der RAF, von dem sich die RAF dann distanzierte
2 siehe Chronologie, 27. Mai 1978
3 siehe Chronologie, 10. April 1978
4 Bezieht sich auf eine Erklärung vom Januar 1978 zum TUNIX-Kongreß von mehreren Gefangenen aus der Bewegung 2. Juni
5 siehe Chronologie, 13. Oktober 1977
6 siehe Chronologie, 7. September 1977
7 Karl-Heinz Filbinger, damaliger Ministerpräsident von Baden-WÜrttemberg, der 1945 als Marine-Richter noch nach der Kapitulation Todesurteile wegen Fahnenflucht verhängte und vollstrecken ließ. Nachdem das in der Öffentlichkeit bekannt wurde, rechtfertigt er sich zunächst mit der Aussage: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Mußte daraufhin als Ministerpräsident zurÜcktreten.
8 siehe Chronologie, 5. September 1977
aus:
Die Bewegung 2.Juni
Gespräche Über Haschrebellen, Lorentz-EntfÜhrung und Knast
Edition ID-Archiv
ISBN: 3-89408-052-3
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Inhaltsverzeichnis]
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Quelle: Der Blues