von Jerry Rubin
Vom Bay bis nach New York, wir erleben die größte Enttäuschung seit dem Beginn unserer Bewegungen. Das Problem ist allgemein und nicht individuell:
Wir schreiben bereits das Jahr 1969, und 1965 kommt uns vor wie ein Kindertraum. Damals waren wir die Eroberer der Welt. Niemand konnte uns aufhalten. Wir wollten den Krieg beenden, und den Rassismus. Wir machten uns daran, die Armen zu mobilisieren und die Universitäten zu übernehmen.
Erinnern wir uns:
Euphorie, überfließender Optimismus, die sichere Hoffung auf Erfolg ... vergeblich. Seitdem ist viel passiert. Der Krieg geht weiter, Nixon hat Johnson ersetzt und der weiße Rassismus ist stärker denn je.
Dennoch, es gab große Siege: Wir schlugen Johnson's Esel, die demokratische Partei. Und es gab große Schlachten: Berkeley, das Pentagon, Columbia, Chocago. Unser Einfluß auf Amerikas Jugend beginnt in den Kindergärten und Volksschulen: Wir sind die durchschlagenste Bewegung der Nation.
Darum wehrt sich die bürgerliche Gesellschaft gegen uns, wo sie nur kann. Doch nicht spektakulär, sondern heimtückisch langsam und vorsichtig. Hier und da wird einer aufgegriffen, und man versucht, die anderen in Inaktivität zu treiben.
So ist Huey P. Newton im Knast und Eldridge Cleaver im Exil. Doch: Amerikas Gerichte sind Kolonial-Gerichte, wo weiße Amerikaner ihre schwarzen Sklaven bestrafen. Amerikas Zuchthäuser sind schwarze Konzentrationslager. Jeder schwarze Gefangene ist ein politischer Häftling. Es gibt Rassen- und Klassenjustiz, in der reinsten Form. Beispiele gibt es genug, zu viele.
Was kann man gegen die Depression tun? Bleibt nur das Rauschgift? Nun, Pot rauchen ist ein politischer Akt! Die Drogen sind ein revolutionärer Schlag gegen Amerikas Konsumgesellschaft. Doch in der Öffentlichkeit ist es gefährlich. Durch Arrest haben die Bullen die Drug-Evangelisten zum Schweigen gebracht. Als Spock eingesperrt wurde, weil er jungen Männern geraten hatte, ihrem Gewissen zu folgen, gab es keine Demonstrationen von Intelektuellen und religiösen, wie man eigentlich hätte erwarten sollen. Sie hatten Angst, nichts als Angst. Wo blieb die moralische Konfrontation der Autorität? Mir schien die Verhaftung von Spock ein Test für die Regierung zu sein. Konnte man Spock festnehmen, ohne daß es zu Aufruhr kam, dann auch die anderen ... Cleaver, Leary, ... Die Regierung gewann den Test. Die Aktivisten in den Campuses wurden angeklagt und eingesperrt. Der, der sich an Aktionen beteiligt hat, angeklagt oder religiert. Und die übrigen Studenten haben sehr schnell vergessen. Wie sieht es denn im Campus aus, wenn die Bullen kommen? Die liberalen schreien, doch gerade die werden als erste müde und gehen schlafen. Aber die Bullen und die Gerichte schlafen nicht. Die Kriegsdienstverweigerer sitzen hinter Gittern, 3-6 Jahre. Oder emigrieren: Tausende nach Kanada und Schweden. Die tapfersten in der Armee gehen lieber in die Internierungslager als die militärische Scheiße mitzumachen. Doch wer hält ihnen die Stange: niemand.
Die Polizei und die Gerichte haben versucht, die schwarzen Führer zu isolieren und den weißen Aktivisten von Berkeley ein Bein zu stellen. Die Campuse werden gefilzt, langhaarige religiert, Intellektuelle zum schweigen gebracht und Kriegsdienstverweigerer unglaublich bestraft.
Deshalb fühlen dich viele von uns so beschissen. Deshalb die Depressionen. Amerika wurde das, was es ist durch Verhaftung und Ermordung von Schwarzen und anderen Farbigen - und wenn es so weiter geht, sind wir bald an der Reihe.
Wer, zum Teufel, soll denn hier noch etwas ändern?
Die Hippie-Yippie-SDS-Bewegung ist eine "White-Nigger"-Bewegung. Die amerikanische Wirtschaft braucht keine jungen weißen und schwarzen mehr: Wir sind überflüssiges Material. Wir erfüllen unser Schicksal, indem wir ein System ablehnen, das uns ablehnt. Aber wer sind wir eigentlich? Gelingt es uns, einen neuen Menschentyp zu schaffen oder sind wir nur billige Reflektionen der Scheiße, die wir so hassen? Sind wir eine geschlossene Gruppe, oder sind wir ein difuser Haufen von Organisationen und miteinander konkurierender Egos? Was passiert mit uns, wenn wir 30 oder 40 sind?
Ich bin mir nicht ganz sicher, und was ich darüber denke, hängt oft davon ab, in welcher Laune ich morgens aufwache. Das scheint mir überhaupt einer der Hauptunterschiede zwischen weißen und schwarzen Bewegungen zu sein. Für die Weißen ist die Befreiungsbewegung ein Kampf gegen die psychische und geistige Unterdrückung. Für Schwarze ist sie eine existenzielle Frage. Eine Antwort auf die Frage, ob wir als Bewegung eine reale Chance haben, erhalten wir vielleicht, wenn wir beobachten, wie wir uns verhalten, wenn wir in Not sind. In der Vergangenheit wurden oft die Unfälle und Verluste der einen Schlacht ihrem individuellen Schicksal überlassen, damit man sich der nächsten dramatischen Aktion zuwenden konnte.
Ferner waren viele oft gezwungen, sich mit der Bitte um Hilfe an ihre Eltern zu wenden, obwohl die Bewegung die Eltern als Institution abschaffen will. Wie könnten wir junge Leute dazu überreden, in einer Bewegung Risiken auf sich zu nehmen, wenn diese Bewegung sie nicht schützen kann?
Die Bewegung ist mehr damit beschäftigt, ideologische Debatten zu führen und Planspiele zu machen, als die Geschlossenheit einer Familie anzunehmen. Aber stark kann unsere Bewegung nur sein, wenn die Freundschaft in ihr stark ist. Unsere wirkliche Stärke ist die Identifikation untereinander.
Diese kollektive Identifikation ist die größte Herausforderung für die Bullen und die Gerichte.
Amerikas Gerichte sind die Scheißhäuser der Nation.
Und in Amerikas Gefängnissen werden Menschen gezwungen, wie Tiere zu leben.
Darum: die Gerichte herauszufordern ist ein Angriff auf die amerikanische Gesellschaft an ihren Wurzeln. Also ist die revolutionärste Forderung in den Campus-Rebellionen, eine Forderung, die die Administration niemals erfüllen kann - die Forderung nach Amnestie. Das heisst: wer die gesellschaftlichen Mechanismen zur Betrafung ihrer Bürger angreift, trifft die Gesellschaft an ihrer Basis der Kontrolle und Repression, eine Offensive gegen die Gerichte und Gefängnisse - eingeschlossen direkte Aktionen und direkte finanzielle Hilfe für die Opfer des Systems - wären die unmittelbarste Verbindung, welche die weiße Bewegung mit den Schwarzen und den armen weißen herstellen könnte. Als Auftakt lasst und gewaltige Demonstrationen organisieren in der Nähe von Gerichten, Gefängnissen und militärischen Anlagen. Sie sollen die sofortige Freilassung fordern von: Huey P. Newton, Cleaver und Rap Brown, Harlem 5, Harlem 6, alle schwarzen Gefangenen, Timothy Leary, the Oakland 7, allen Rauschmittelhäftlingen, allen Kriegsdienstverweigerern, Benjamin Spock, Jeff Segal, Martin Kenner, mir, und allen politischen Gefangenen. Unsere Suche nach Abenteuer und Heldentum führt uns ausserhalb von Amerika, nach einem Leben der Selbstverwirklichung und Rebellion. Amerika gleicht dem untergehenden Römischen Reich, und die Repression enthüllt, die Geschwindigkeit seines Untergangs. Hinter den schönen amerikanischen Worten von Demokratie steht in Wirklichkeit ein übles, arrogantes, respektheischendes System, das keine Opposition duldet.
Nun, wir leben in einem Polizeistaat. Ich will das verdeutlichen. Nahezu jeder unter 30 in Manhatten raucht Pot. Den Bullen dient das als willkommener Vorwand gegen Schwarze, Langhaarige und politische Aktive. Wenn man langhaarig und politisch aktiv ist, bekommt man Ärger. Ist man aber langhaarig, politisch aktiv und schwarz, dann bekommt man besonders großen Ärger.
Schlimm war es in Chicago. Zur Zeit des Yippie-Festivals. Ich wurde zum Beispiel auf einer einsamen Straße von 4 nicht uniformierten gekidnapped, mit dem Tode bedroht, geprügelt, und der Boss des Chicago Red Squad sagte zu mir: Ihr ruiniert unsere Stadt. Ich hoffe, sie gefällt Dir, denn Du wirst eine lange Zeit hier im Knast verbringen.
Der Kolumnist Jack Mabley schrieb dazu:
Man mag in Amerika wegen Verbrechen oder Revolution festgenommen werden, aber Rubin wurde aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen, weil er anders denkt. Das ist das gleiche, was in Prag passiert. Dieses ist nicht der Beginn eines Polizeistaates, es ist der Polizeistaat.
dann wurde ich unter den übelsten Beschuldigungen angeklagt und die Kaution wurde höher festgesetzt, als üblicherweise bei Mördern.